Brussels, 17. März
1948
Seine Königliche Hoheit
der Prinzregent von Belgien, der Präsident der Französischen Republik
und Präsident der Französischen Union, Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin
von Luxemburg, Ihre Majestät die Königin der Niederlande und Seine Majestät
der König von Großbritannien, Irland und der britischen Dominien jenseits
der Meere,
ENTSCHLOSSEN,
Ihren Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an die Würde und den
Wert der menschlichen Persönlichkeit und an die anderen in der Satzung
der Vereinten Nationen verkündeten Ideale erneut zu bekräftigen; Die Grundsätze
der Demokratie, die persönliche und politische Freiheit, die verfassungsmäßige
Überlieferung und die Achtung vor dem Gesetz, die ihr gemeinsames Erbe
sind, zu festigen und zu erhalten;
In Verfolgung dieser Ziele die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Bande, die sie bereits vereinen, zu stärken;
Loyal zusammenzuarbeiten und ihre Bemühungen, in Westeuropa eine feste
Grundlage für die wirtschaftliche Erholung Europas zu schaffen, aufeinander
abzustimmen; In Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen
einander Beistand zu leisten bei der Aufrechterhaltung des internationalen
Friedens und der internationalen Sicherheit und im Widerstand gegen jede
Angriffspolitik;
Die Einheit Europas zu fördern und seiner fortschreitenden Integrierung
Antrieb zu geben;
In der Verfolgung dieser Ziele nach und nach andere Staaten hinzuzuziehen,
die von den gleichen Idealen geleitet und von der gleichen Entschlossenheit
beseelt sind;
In dem Wunsche, zu diesem Zweck einen Vertrag über Zusammenarbeit in wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Angelegenheiten und zur kollektiven Selbstverteidigung
abzuschließen;
HABEN zu ihren Bevollmächtigten ERNANNT:
(Es folgen die Namen der einzelnen Bevollmächtigten)
die nach Vorlage ihrer Vollmachten, die als gut und gehörig befunden wurden,
wie folgt ÜBEREINGEKOMMEN SIND:
Artikel I
Überzeugt von der engen Gemeinschaft ihrer Interessen und von der Notwendigkeit,
sich zu vereinigen, um die wirtschaftliche Erholung Europas zu fördern,
werden die Hohen Vertragschließenden Teile ihre wirtschaftlichen Maßnahmen
so gestalten und aufeinander abstimmen, daß sie durch die Beseitigung
von Gegensätzen in ihrer Wirtschaftspolitik, durch die Koordinierung der
Produktion und durch die Entwicklung des Handels- und Zahlungsverkehrs
zu den bestmöglichen Ergebnissen gelangen.
Die in vorstehendem Absatz vorgesehene Zusammenarbeit, die durch den in
Artikel VIII genannten Rat erfolgt, soll weder eine Überschneidung noch
eine Behinderung der Arbeit anderer wirtschaftlicher Organisationen zur
Folge haben, in denen die Hohen Vertragschließenden Teile vertreten sind
oder vertreten sein werden; sie soll vielmehr die Arbeit dieser Organisationen
unterstützen.
Artikel II
Die Hohen Vertragschließenden Teile werden gemeinsam sowohl in unmittelbarer
Beratung als auch in besonders hierzu eingerichteten Stellen jede Anstrengung
unternehmen, um einen höheren Lebensstandard ihrer Völker herbeizuführen
und die in ihren Staaten bestehenden sozialen und sonstigen Einrichtungen
dieser Art in diesem Sinne zu entwickeln. Die Hohen Vertragschließenden
Teile werden sich gegenseitig mit dem Ziel konsultieren, die Empfehlungen
von unmittelbarem praktischen Interesse, die sich auf soziale Angelegenheiten
beziehen und die mit ihrer Zustimmung in dem besonders hierzu eingerichteten
Stellen angenommen wurden, so bald wie möglich zu verwirklichen. Sie werden
sich bemühen, so bald wie möglich auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit
Übereinkommen miteinander abzuschließen.
Artikel III
Die Hohen Vertragschließenden Teile werden gemeinsam jede Anstrengung
unternehmen um ihre Völker zu einem besseren Verständnis der Grundsätze,
welche die Grundlage ihrer gemeinsamen Zivilisation bilden, zu führen
und durch gegenseitige Übereinkommen oder sonstige Mittel den kulturellen
Austausch zu fördern.
Artikel IV
Bei der Durchführung des Vertrags arbeiten die Hohen Vertragschließenden
Teile und alle von ihnen im Rahmen des Vertrags geschaffenen Organe eng
mit der Organisation des Nordatlantikvertrags zusammen.
Da der Aufbau einer Parallelorganisation zu den militärischen NATO-Stäben
unerwünscht ist, sind der Rat und sein Amt in militärischen Angelegenheiten
hinsichtlich Auskunftserteilung und Beratung auf die zuständigen militärischen
NATO-Stellen angewiesen.
Artikel V
Sollte einer der Hohen Vertragschließenden Teile das Ziel eines bewaffneten
Angriffs in Europa werden, so werden ihm die anderen Hohen Vertragschließenden
Teile im Einklang mit den Bestimmungen des Artikels 51 der Satzung der
Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige
Hilfe und Unterstützung leisten.
Artikel VI
Alle auf Grund des vorstehenden Artikels getroffenen Maßnahmen sind unverzüglich
dem Sicherheitsrat zu berichten. Sie werden eingestellt, sobald der Sicherheitsrat
die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um den internationalen Frieden
und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.
Dieser Vertrag beeinträchtigt in keiner Weise die Verpflichtungen, die
sich für die Hohen Vertragschließenden Teile aus den Bestimmungen der
Satzung der Vereinten Nationen ergeben. Er darf nicht so ausgelegt werden,
als berühre er in irgendeiner Weise die dem Sicherheitsrat auf Grund der
Satzung zustehende Befugnis und Verantwortlichkeit, jederzeit die Maßnahmen
zu treffen, die er für erforderlich hält, um den internationalen Frieden
und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.
Artikel VII
Die Hohen Vertragschließenden Teile erklären jeder für sich, daß keines
der internationalen Abkommen, die zwischen ihnen und einem anderen Hohen
Vertragschließenden Teil oder einem dritten Staat gegenwärtig besteht,
den Bestimmungen dieses Vertrags widerspricht. Keiner der Hohen Vertragschließenden
Teile wird ein Bündnis eingehen oder an einer Koalition teilnehmen, die
sich gegen einen der Hohen Vertragschließenden Teile richten.
Artikel VIII
Um den Frieden und die Sicherheit zu festigen und die Einheit Europas
zu fördern und seiner fortschreitenden Integrierung Antrieb zu geben sowie
eine engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und mit anderen
europäischen Organisationen zu unterstützen, setzen die Hohen Vertragschließenden
Teile des Brüsseler Vertrags einen Rat ein, der sich mit der Durchführung
dieses Vertrags, seiner Protokolle und deren Anlagen befaßt.
Der Rat führt die Bezeichnung "Rat der Westeuropäischen Union"; er ist
so eingerichtet, daß er ständig tätig sein kann; soweit erforderlich,
richtet er nachgeordnete Stellen ein, insbesondere errichtet er unverzüglich
ein Amt für Rüstungskontrolle mit den in Protokoll Nr. IV bestimmten Aufgaben.
Auf Antrag eines der Hohen Vertragschließenden Teile wird der Rat unverzüglich
einberufen, um eine Beratung bei jeder Lage zu ermöglichen, die eine Bedrohung
des Friedens, gleichviel in welchem Gebiet, oder eine Gefährdung der wirtschaftlichen
Stabilität darstellt.
Über Fragen, für die ein anderes Abstimmungsverfahren nicht vereinbart
ist oder vereinbart wird, beschließt der Rat einstimmig. In den Fällen
der Protokolle Nr. II, III und IV wendet er die verschiedenen darin vorgesehenen
Abstimmungsverfahren an - Einstimmigkeit, Zweidrittelmehrheit, einfach
Mehrheit. Er entscheidet mit einfacher Mehrheit über Fragen, die ihm vom
Amt für Rüstungskontrolle vorgelegt werden.
Artikel IX
Der Rat der Westeuropäischen Union erstattet einer Versammlung, die aus
Vertretern der Brüsseler Vertragsmächte bei der Beratenden Versammlung
des Europarates besteht, jährlich einen Bericht über seine Tätigkeit,
insbesondere über die Rüstungskontrolle.
Artikel X
Getreu ihrem Entschluß, Streitigkeiten nur durch friedliche Mittel beizulegen,
werden die Hohen Vertragschließenden Teile bei Streitigkeiten untereinander
die folgenden Bestimmungen anwenden:
Die Hohen Vertragschließenden Teile werden für die Dauer dieses Vertrags
alle unter Artikel 36 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs
fallenden Streitigkeiten diesem Gerichtshof unterbreiten; diese Bestimmung
gilt lediglich mit der Maßgabe, daß bei jedem der Hohen Vertragschließenden
Teile die von diesem Teil bei der Annahme dieser Klausel über die verbindliche
Gerichtsbarkeit gemachten Vorbehalte soweit gewahrt bleiben, wir dieser
Teil sie aufrechterhalten sollte.
Ferner werden die Hohen Vertragschließenden Teile alle nicht unter Artikel
36 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs fallenden Streitigkeiten
im Wege des Vergleichsverfahrens regeln. Bei Streitigkeiten, die sowohl
Fragen umfassen, die einem Vergleichsverfahren, als auch solche, die einem
gerichtlichen Verfahren unterliegen, hat jede der streitenden Parteien
das Recht zu verlangen, daß die gerichtliche Entscheidung der Rechtsfragen
dem Vergleichsverfahren vorangehen soll.
Die vorstehenden Bestimmungen dieses Artikels berühren in keiner Weise
die Anwendung von Bestimmungen oder Abkommen, welche irgendein anderes
Verfahren für eine friedliche Regelung vorsehen.
Artikel XI
Die Hohen Vertragschließenden Teile können in gegenseitigem Einvernehmen
jeden anderen Staat einladen, diesem Vertrag unter den Bedingungen beizutreten,
auf die sie sich mit dem eingeladenen Staat geeinigt haben.
Jeder so eingeladene Staat kann Mitglied des Vertrags werden, indem er
eine Beitrittsurkunde bei der belgischen Regierung hinterlegt.
Die belgische Regierung wird jeden der Hohen Vertragschließenden Teile
von der Hinterlegung der Beitrittsurkunden in Kenntnis setzen.
Artikel XII
Dieser Vertrag ist zu ratifizieren; die Ratifikationsurkunden sind so
bald wie möglich bei der belgischen Regierung zu hinterlegen.
Der Vertrag tritt am Tage der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde
in Kraft und bleibt danach fünfzig Jahre lang in Kraft.
Nach Ablauf des Zeitraums von fünfzig Jahren ist jeder der Hohen Vertragschließenden
Teile berechtigt, als Vertragspartner auszuscheiden, vorausgesetzt, daß
er der belgischen Regierung ein Jahr vorher eine Kündigung eingereicht
hat .
Die belgische Regierung unterrichtet die Regierungen der anderen Hohen
Vertragschließenden Teile von der Hinterlegung jeder Ratifikationsurkunde
und jeder Kündigungsmitteilung.
ZU URKUND DESSEN haben die genannten Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet
und mit ihrem Siegel versehen.
GESCHEHEN zu Brüssel, am siebzehnten März 1948, in englischer und französischer
Sprache, wobei jeder Wortlaut in gleicher Weise maßgebend ist, in einem
Urstück, das in den Archiven der belgischen Regierung hinterlegt wird;
diese übermittelt jedem der anderen Unterzeichnerstaaten beglaubigte Abschriften.
Verträge, Abkommen, Verfassungen...
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