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Leitantrag: Verantwortung für Europa
- 30/04/2001 -
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SPD-Bundesparteitag Nürnberg, 19. - 23. November 2001
Entwurf (Stand 30.04.2001)

Europa steht zu Beginn dieses Jahrhunderts vor historischen Weichenstellungen. Das Gelingen der Erweiterung der Europäischen Union, die Stärkung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und die Weiterentwicklung der europäischen Integration sind die großen Herausforderungen unserer Zeit.

Die europäische Integration ist das wichtigste und erfolgreichste politische Projekt in der europäischen Geschichte. Sie begründet Frieden, Sicherheit und Stabilität zwischen ihren Teilnehmern und bringt Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung für Deutschland und die Europäische Union. Deshalb wird die Sozialdemokratische Partei Deutschlands alles tun, um diesen Prozess auch im 21. Jahrhundert voranzubringen und weiterzuentwickeln.

Zur weiteren Integration und Europäisierung gibt es keine Alternative. Die Zukunftsfähigkeit der Politik für Deutschland wird auch an dieser Frage entschieden.

Deshalb unterstützt die SPD die erfolgreiche Europapolitik von Bundeskanzler Gerhard Schröder und der von ihm geführten Bundesregierung zur Wahrung der Interessen unseres Landes. Das Wohl unseres Landes lässt sich am wirksamsten in einem vereinten Europa dauerhaft sichern.

Europa ist für uns ein Gesellschaftsmodell basierend auf den Idealen der Aufklärung und des Humanismus. Das europäische Modell der sozialen Demokratie beinhaltet für uns die Verbindung von Freiheit und Solidarität, von Individuum und Gesellschaft, von Leistung und Verantwortung.

Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen:

Damit werden wir unseren Beitrag leisten, um im Zeitalter der Globalisierung Kräfte zu bündeln und Aufgaben besser zu verteilen.

Damit werden wir unseren Beitrag leisten, um die Erfolge der Europäischen Union zu sichern und weiterzuentwickeln.

Damit werden wir unseren Beitrag leisten, um die Europäische Union zu reformieren und zu erweitern.

Damit werden wir unseren Beitrag leisten, um in Deutschland dauerhaft Köpfe und Herzen für Europa zu gewinnen.

 

1. Wohlstand sichern und Beschäftigung erhöhen

Die Volkswirtschaften in der Europäischen Union sind wieder auf Wachstumskurs. Die Arbeitslosigkeit geht kontinuierlich zurück. Dies ist das Ergebnis einer Politikwende auch auf europäischer Ebene, die die sozialdemokratisch geführten Regierungen in der Europäischen Union eingeleitet haben. Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir für eine ausgewogene gesamtwirtschaftliche Politik gesorgt, mit der auch die Beschäftigungspolitik den richtigen Stellenwert auf europäischer Ebene erhalten hat. Mit der besseren Koordinierung auf europäischer Ebene haben wir einen Gleichklang in der Wirtschafts-, Finanz- und Beschäftigungspolitik geschafft, der nun Früchte trägt. Damit haben wir auch die wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen entscheidend verbessert, die die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion für ihren Erfolg braucht, um Europa zum dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum zu entwickeln.

Den Euro erfolgreich einführen

Heute steht die europäische Währungsunion vor ihrer Vollendung: Ab dem 1. Januar 2002 werden die Bürgerinnen und Bürger den Euro als tägliches Zahlungsmittel in den Händen halten. Wir wissen, dass viele Bürgerinnen und Bürger der Währungsumstellung noch mit Unbehagen entgegensehen. Wir sind aber überzeugt, dass dieses Unbehagen sich in breite Zustimmung wandeln wird, wenn die Bürgerinnen und Bürger erst ihre positiven Erfahrungen mit dem Euro im Alltag gesammelt haben. Ein erfolgreicher Euro wird zum Symbol für europäische Zusammengehörigkeit werden und der weiteren Integration neuen Schub verleihen.

Der Euro hat seine ersten Bewährungsproben auf den internationalen Finanzmärkten bestanden. Auf die Stabilität des Euros können die Bürgerinnen und Bürger auch künftig fest vertrauen.

Garant für einen stabilen Euro ist nicht nur die Europäische Zentralbank, sondern auch die Verpflichtung aller Euro-Länder auf eine stabilitätsorientierte Finanz- und Wirtschaftspolitik. Wir leisten mit der unabdingbaren Konsolidierung des Bundeshaushalts unseren Beitrag zur Stabilität des Euro, mit sozialer Vernunft und klaren Prioritäten bei den öffentlichen Investitionen. Der Euro ist ein Wettbewerbsmotor in der Europäischen Union. Auch deshalb werden wir an unserem Konzept der strukturellen Reformen festhalten und Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland weiter modernisieren. Dies sind unverzichtbare Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung in der Währungsunion.

Binnenmarkt und Währungsunion für Wachstum und Beschäftigung nutzen

In der globalisierten Wirtschaft wird Europa mit dem Euro als Investitionsstandort attraktiver. Er stärkt Europa im weltweiten Wettbewerb und trägt zu mehr Stabilität im Weltfinanzsystem bei, von der alle Volkswirtschaften profitieren. Europa will alle Vorteile der gemeinsamen Währung für Wachstum und Beschäftigung nutzen. Dazu brauchen wir einen voll funktionsfähigen Binnenmarkt, wie auch der Binnenmarkt zu seinem Erfolg einen stabilen Euro braucht. Wir müssen den europäischen Binnenmarkt weiter systematisch ausbauen. Dazu gehört auch, dass alle Mitgliedsstaaten ihren Verpflichtungen zur Öffnung ihrer Märkte bei Strom, Gas oder Post fristgerecht nachkommen, um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Wir werden weiterhin darauf achten, dass die notwendigen Anpassungen sozialverträglich erfolgen. Binnenmarkt und gemeinsame Währung verlangen aber auch eine stärkere Harmonisierung in der Steuerpolitik, insbesondere bei den Unternehmenssteuern, der Besteuerung von Kapitalerträgen, der Besteuerung des Energieeinsatzes und der Ausgestaltung der Mehrwert- und Umsatzsteuer sowie einen einheitlichen Kapitalmarkt.

Wir unterstützen die Lissabon-Beschlüsse der europäischen Staats- und Regierungschefs, die die Schaffung der Voraussetzungen für Vollbeschäftigung in der Europäischen Union zum Ziel haben. Die Umsetzung dieser Beschlüsse verlangt mutige Reformen auf nationaler Ebene und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Das schließt auch die Lohnpolitik ein, die im Binnenmarkt und im gemeinsamen Währungsraum nicht mehr nur an nationalen wirtschaftlichen Größen orientiert werden kann. Deshalb müssen die Tarifvertragsparteien im Euroraum ihren lohnpolitischen Dialog verstärken. Wir wollen unsere Politik für mehr Wachstum in Europa durch eine noch engere Zusammenarbeit mit unseren Partnern in allen wirtschaftlich relevanten Bereichen weiterentwickeln. Dies gilt von der Forschungs- und Technologiepolitik bis hin zur Bildungs- und Sozialpolitik.

 

2. Innovation und Bildung fördern - Das europäische Sozialmodell modernisieren

Die Globalisierung und der Wandel von der Industrie- zur Wissens- und Informationsgesellschaft stellen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor große Herausforderungen. Die europäische Antwort darauf ist ein umfassendes Reformprogramm, mit dem sich Europa in den nächsten zehn Jahren zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt entwickeln will, zu einem Wirtschaftsraum mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen und sozialem Zusammenhalt. Wir treten dafür ein, das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell zu modernisieren. Dazu gehört vor allem, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig zu machen. Seit Lissabon ist das Ziel, die Voraussetzungen für Vollbeschäftigung zu schaffen, wieder auf der europäischen Tagesordnung. Wir wissen, dies ist nicht leicht zu erreichen, aber wir haben auf europäischer und nationaler Ebene unsere Politik konsequent auf dieses Ziel ausrichtet. Erste Erfolge stellen sich ein. So sind wir dem mit den Partnern vereinbarten Ziel, die Erwerbstätigenquote bis 2010 auf 70 % zu steigern, bereits ein Stück näher gekommen.

Europa soll in zehn Jahren bei Forschung und Entwicklung weltweit an der Spitze stehen. Deshalb muss das Ausgabeverhalten der EU stärker an den Erfordernissen von Innovation und Modernisierung ausgerichtet werden. Wir müssen den europäischen Forschungsraum konsequent weiterentwickeln und Spitzenforschern sowie Unternehmen höhere Anreize bieten, in Europa zu arbeiten bzw. mit europäischen Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten. Die Berufs- und Karrierechancen der Nachwuchswissenschaftler sind zu verbessern. Wir müssen zudem die rechtlichen Rahmenbedingungen im europäischen Forschungsraum weiter harmonisieren und die Mobilität der Forscher erleichtern.

Um diese anspruchsvollen Ziele zu erreichen, brauchen wir in Europa erhebliche Investitionen in Bildung und Ausbildung. Wir brauchen mehr Mobilität und Öffnung auf allen Ebenen der staatlichen und beruflichen Bildung und bessere Rahmenbedingungen für Mobilität während der Ausbildung. Die gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen im Hochschul- und Berufsbildungsbereich ist immer noch viel zu bürokratisch. Darüber hinaus brauchen wir eine breite Entwicklung von europäischen Hochschulnetzwerken, damit Europa im zunehmenden internationalen Bildungswettbewerb Profil gewinnen kann. In unserem Bündnis für Arbeit haben wir eine Reihe konkreter Maßnahmen zur Förderung von Aus- und Weiterbildung beschlossen. Die Mittel für Wissenschaft und Forschung haben wir erheblich verstärkt, um Innovationen zu fördern. Unsere Bafög-Reform ist ein Beitrag, um wieder mehr Chancengerechtigkeit im Bildungssystem zu schaffen. Sie erleichtert zugleich den Studierenden aus Deutschland die Mobilität innerhalb der EU.

Der Weg in die Wissens- und Informationsgesellschaft verlangt von den Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Flexibilität. Ökonomische Effizienz und soziale Integration müssen in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden. Die sozialen Gegensätze dürfen sich auf dem Weg in die Wissensgesellschaft nicht verstärken. Der Zugang zur Wissensgesellschaft muss für alle Bürgerinnen und Bürger offen bleiben.

Große Bedeutung kommt dabei den mit Bildung und Qualifizierung befassten öffentlichen Einrichtungen sowie den Einrichtungen der betrieblichen Aus- und Weiterbildung zu. Sie müssen die neuen Konzepte des lebenslangen Lernens aufgreifen und gezielt bei ihrer Arbeit berücksichtigen.

 

3. Umwelt- und Verbraucherschutz voranbringen

Nachhaltige Landwirtschaft und effektiver Verbraucherschutz

Wir treten für eine neue Agrarpolitik in der Europäischen Union ein, die dem Verbraucherschutz und der Qualität unserer Nahrungsmittel oberste Priorität einräumt und sich am Leitbild der Nachhaltigkeit orientiert.

Die BSE-Krise ist auch eine Krise der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union. Nur eine grundlegende Wende kann der GAP ihre Glaubwürdigkeit zurückgeben. Dazu muss die demnächst anstehende Überprüfung der EU-Agrarpolitik genutzt werden. Wir treten dafür ein, dass das Zielsystem der GAP neu definiert wird.

Wir brauchen einen umfassenden Verbraucherschutz mit hohen Standards in der Produktion und Transparenz von der Lebensmittelproduktion über die Vermarktung bis hin zum Verbraucher. Im Lebensmittelrecht müssen künftig klarere Kennzeichnungsregelungen für Qualität und Herkunft verankert werden. Nur durch eine lückenlose Etikettierung und Kontrolle kann der Verbraucher geschützt, sein Vertrauen zurückgewonnen und schließlich ein bewusster Einkauf ermöglicht werden.

Wir wollen, dass Tiere artgerecht gehalten werden und auch in der konventionellen Landwirtschaft die Produktion umwelt- und naturgerecht erfolgt. Der ökologische Landbau muss gestärkt und sein Marktpotential verbreitert werden. Die Erzeugung gesunder Lebensmittel muss sich wirtschaftlich lohnen und den Landwirten Perspektiven mit fairen Bedingungen im Wettbewerb bieten. Der ländliche Raum ist als Arbeits-, Lebens-, Freizeit- und Erholungsstandort zu erhalten und auszubauen.

Der Einsatz von Steuermitteln für eine fehlgeleitete Agrarpolitik in der EU Lebensmittelproduktion ist zu beenden. Finanzielle Unterstützung für die Landwirtschaft muss vielmehr an die Einhaltung von Kriterien des Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutzes gebunden werden. Insgesamt müssen die Hilfen für die Landwirtschaft stärker zugunsten der nachhaltigen Entwicklung ländlicher Räume umgeschichtet werden. Die Kofinanzierung sollte künftig Grundsatz der GAP sein. Die Honorierung von ökologischen Dienstleistungen und Schaffung alternativer Einkommensquellen, z.B. in der Produktion nachwachsender Rohstoffe und Energiepflanzen, in der Nutzung regenerativer Energien und im naturnahen Tourismus muss ausgebaut werden.

Umwelt- und Klimaschutz stärken

Umwelt- und Klimaschutz sind zentrale Zukunftsaufgaben, die wir nur noch in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnern in der Europäischen Union und der Welt bewältigen können.

Bei Umwelttechnologien, Umweltstandards und umweltfreundlichen Produkten und Produktionsverfahren muss die Europäische Union weltweit führend werden. Eine konsequente europäische Umweltpolitik stärkt die weltweite Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen und wird so zu einem noch wichtigeren Beschäftigungsfaktor. Die ökologische Komponente in der Steuerpolitik muss in der Europäischen Union substantiell ausgebaut werden. Dazu gehört insbesondere auch eine Harmonisierung der Energiebesteuerung.

Die SPD steht für eine Wende in der Energiepolitik, bei der den erneuerbaren Energien hohe Priorität zukommt. Sie ist unverzichtbar, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Mit ihrem nationalen Klimaschutzprogramm wird die Bundesregierung ihre Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll in vollem Umfang erfüllen. Die SPD tritt dafür ein, dass auch die USA ihre in Kyoto eingegangenen Verpflichtungen in vollem Umfang erfüllen. Durch demonstrative Vorleistungen kann die Europäische Union andere Länder zur Erfüllung deren Verpflichtungen anregen und das Vertrauen in den Entwicklungsländern wecken, damit sich auch diese aktiv mit eigenen Anstrengungen am Klimaschutz beteiligen. Wir werden auch künftig mit aller Kraft dafür eintreten, den Klimaschutz für alle Vertragsstaaten zu einer verbindlichen Aufgabe zu machen, die zu echten und weitreichenden Reduktionen der Treibhausgasemissionen führt.

 

4. Innere Sicherheit garantieren

Eine besondere Herausforderung des europäischen Einigungsprozesses ist für die SPD die Gewährleistung der Inneren Sicherheit. Für uns gilt, dass Sicherheit besser gemeinsam in der erweiterten Union gewährleistet werden kann als im Alleingang.

Ziel sozialdemokratischer Europapolitik ist die Erhaltung und Weiterentwicklung der Europäischen Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

Für die SPD gilt: Die offenen Grenzen in der Europäischen Union sollen den Bürgerinnen und Bürgern nutzen, nicht dem organisierten Verbrechen.

Die polizeiliche Zusammenarbeit wird mehr Rechtssicherheit ermöglichen. Durch die Einbeziehung der Beitrittsländer in die unionsweite Bekämpfung der organisierten und grenzüberschreitenden Kriminalität werden gerade für Deutschland die Möglichkeiten der Kooperation im polizeilichen und justiziellen Bereich erheblich verbessert. Die grenzüberschreitende Strafverfolgung kann dann zügiger, effektiver und kostengünstiger durchgeführt werden.

Dazu sind die vorhandenen Instrumente wie z.B. die Europäische Polizeibehörde EUROPOL weiter auszubauen und neue Formen der Zusammenarbeit zu schaffen.

Die SPD setzt sich daher dafür ein,

  • EUROPOL im Sinne einer operativen europäischen Polizei, ausgestattet mit exekutiven Befugnissen nach dem Vorbild des Bundeskriminalamts auszubauen;
  • eine europäische Staatsanwaltschaft einzurichten, die die Zusammenarbeit der nationalen Strafverfolgungsbehörden und die Tätigkeit von EUROPOL begleitet;
  • eine gemeinsame europäische Grenzpolizei zu schaffen, die an den künftigen Außengrenzen der Europäischen Union für einen wirkungsvollen Schutz der Grenzen gegen die organisierte Kriminalität und illegale Einwanderung sorgt;
  • Grenzkontrollen zu den künftigen Mitgliedsstaaten der EU erst dann aufzuheben, wenn das Schutzniveau den Standards der Europäischen Union entspricht;
  • die justizielle Zusammenarbeit im Strafrechtsbereich auszubauen, einschließlich der Angleichung des Strafmaßes für internationale und grenzüberschreitende Straftaten;
  • jeder Bürgerin und jedem Bürger das Recht einzuräumen, Maßnahmen von EUROPOL durch den Europäischen Gerichtshof überprüfen zu lassen;
  • für diesen grundrechtsrelevanten Bereich eine umfangreiche parlamentarische Kontrolle durch das Europäische Parlament sicherzustellen.

 

5. Bürgerrechte stärken

Europapolitik muss eine Politik mit und für die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sein. Sie und ihre Rechte müssen im Mittelpunkt aller integrationspolitischen Anstrengungen stehen. Deshalb begrüßt die SPD ausdrücklich, dass die Bundesregierung der europäischen Grundrechtecharta zum Erfolg verholfen hat.

Die Grundrechtecharta ist vor dem Hintergrund unterschiedlicher nationaler Verfassungstraditionen und Grundrechtsvorstellungen ein wichtiger Beitrag zur Identitätsstiftung der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union.

Die europäische Sozialdemokratie hat durchgesetzt, dass neben den Freiheits- und Bürgerrechten auch die wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte einen grundsätzlich gleichberechtigten Eingang in die Charta gefunden haben.

Für die SPD kommt es darauf an,

  • dass Europa als Wertegemeinschaft nicht nur Freiheits- und Bürgerrechte sowie Gleichheitsrechte absichert, sondern auch dafür sorgt, dass Menschen in schwieriger Lage gemäß ihren Fähigkeiten aktiver Teil der europäischen Bürgergesellschaft sein können. Hierzu gehört auch die Verwirklichung der politischen und gesellschaftlichen Teilhabe und die Schaffung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein;
  • dass die Grundrechtecharta in die Europäischen Verträge aufgenommen und damit rechtsverbindlich wird. Bei der feierlichen Proklamation darf es nicht bleiben;
  • nach Integration der Charta in die Verträge den Bürgerinnen und Bürgern in der Europäischen Union die Möglichkeit einer Beschwerde oder einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu eröffnen, wenn sie ihre Rechte durch EU-Organe gefährdet sehen. Die in der Charta festgeschriebene Unteilbarkeit und gegenseitige Bedingtheit aller Grundrechte muss für die Bürgerinnen und Bürger erfahrbar gemacht werden;
  • dass durch die Charta das Wertefundament der Europäischen Union definiert und die überragende Bedeutung der Grund- und Menschenrechte für die Menschen innerhalb der Europäischen Union sichtbarer gemacht wird. Auf der Grundlage der Charta muss ein umfassender Minderheitenschutz und ein Schutz vor Diskriminierung, insbesondere aufgrund von Hautfarbe, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, von Behinderung, Alter oder sexuellen Ausrichtung garantiert werden;
  • dass auch für Angehörige von Drittstaaten die Grundrechte in der Europäischen Union gewährleistet werden sein müssen;
  • dass zum schrittweisen Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa die Voraussetzungen für die Gewährleistung des freien Personenverkehrs, für eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik sowie den Schutz der Rechte von Drittstaatenangehörigen geschaffen werden müssen;
  • dass die Ausarbeitung der Grundrechtecharta der Beginn der Diskussion um eine europäische Verfassung ist. Die Grundrechtecharta sollte dann an die Spitze der künftigen Verfassung gestellt werden, damit der Wertebezug der Europäischen Union deutlich wird.

 

6. Außen- und Sicherheitspolitik ausbauen

Eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU fördert die europäische Integration und stärkt die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Sie entspricht den Notwendigkeiten im neuen Europa und den Bedingungen der Globalisierung, unter denen sich Europa am wirksamsten als politisch vereinte Kraft behaupten kann. Und sie ist Voraussetzung für eine langfristig tragfähige und gleichberechtigte transatlantische Partnerschaft, für eine engere Zusammenarbeit Europas mit Russland und für ein abgestimmteres Auftreten der EU in internationalen Organisationen wie der OSZE und den VN.

Eine stärkere Rolle der Europäer in der Allianz und eine stärkere sicherheitspolitische Rolle der EU wird die NATO stärken. Die transatlantische Partnerschaft bleibt die Grundlage unserer Sicherheit in Europa. Die NATO bleibt die entscheidende politische und institutionelle Klammer für die euro-atlantische Gemeinschaft demokratischer Staaten.

Die Einbindung Russlands in die europäischen Sicherheitsstrukturen ist Voraussetzung für Stabilität und Sicherheit im euro-atlantischen Raum.

Die EU hat, nicht zuletzt unter dem Eindruck ihrer Erfahrungen auf dem Balkan, die notwendigen Entscheidungen getroffen, um Europa zu einem außen- und sicherheitspolitischen Akteur von Gewicht zu machen. Die EU muss handlungsfähig sein, um Verantwortung für Stabilität und Sicherheit im euro-atlantischen Raum und darüber hinaus zu übernehmen. Die Fortentwicklung der GASP muss Thema der nächsten Regierungskonferenz sein. Dabei muss mittelfristig eine Vergemeinschaftung dieses Politikbereiches angestrebt werden.

  • Die SPD setzt sich dafür ein, dass die europäische Union mit der GASP ein umfassendes Sicherheitskonzept entwickelt, das politische, militärische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Elemente umfasst, die europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungs- und Entwicklungspolitik verzahnt und die Fähigkeit zur Konfliktprävention verstärkt. Zur politischen und strategischen Durchführung von Krisenmanagement-Aufgaben, wie sie der EU-Vertrag definiert, muss das ganze Spektrum von diplomatischen Aktivitäten, humanitärer Hilfe und wirtschaftlichen Maßnahmen über nichtmilitärische Polizeieinsätze bis hin zu friedenserhaltenden und friedensdurchsetzenden militärischen Operationen nutzbar sein. Künftig wird die EU auch militärisch selbständig im Krisenmanagement handeln können, wenn sich die NATO als Ganzes nicht engagiert.
  • Es muss eine Konfliktpräventionspolitik der EU entwickelt werden, die dem gesamten Spektrum an Erfordernissen für erfolgreiche Krisenprävention und ziviles und militärisches Krisenmanagement Rechnung trägt. Diese Politik muss, anknüpfend an den Erfahrungen des Engagements der EU im Stabilitätspakt für Südosteuropa, multilateral und langfristig angelegt sein und die Förderung von Demokratie, Zivilgesellschaft und Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft und sozialer Sicherheit, sowie Abrüstung und Vertrauensbildung in (potentiellen) Krisenregionen zum Ziel haben. Dafür ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit der EU im Mittelmeerraum ein wegweisendes Beispiel.

  • Das Engagement der EU im Rahmen des Stabilitätspaktes für Südosteuropa muss in diesem Rahmen auf hohem Niveau fortgesetzt werden. Die Hilfe durch den Stabilitätspakt kann jedoch nur Hilfe zur Selbsthilfe sein. Eine nachhaltige Befriedung und Entwicklung Südosteuropas bedarf neben der Hilfe von außen erheblicher Eigenanstrengungen und der Bereitschaft, Konflikte friedlich zu lösen. Nur so wird das Ziel, alle Länder Südosteuropas schrittweise in die europäischen Strukturen integrieren zu können, erreichbar sein.
  • Neben der Einrichtung der permanenten politischen und militärischen Entscheidungsstrukturen der EU, müssen Krisenmanagementverfahren erarbeitet und die operationellen Fähigkeiten der EU im militärischen (schnell verfügbare Einsatzkräfte, Kernfähigkeiten für Krisenmanagementaufgaben) und zivilen (Polizei, Zivilverwaltung, Katastrophenschutz, Stärkung des Rechtsstaats) Bereich wie geplant ausgebaut werden. Die Bundeswehr ist bereits jetzt stark europäisch integriert und leistet mit ihren Einsätzen auf dem Balkan hervorragende Arbeit im Krisenmanagement. Die Umsetzung der Bundeswehrreform wird die Struktur der Streitkräfte den neuen Anforderungen weiter anpassen. So wird die Bundeswehr leistungsfähiger und zukunftsfähiger im Dienste der Friedenssicherung.

 

7. Europas globaler Verantwortung gerecht werden

Gestaltung der Globalisierung

Durch die beschleunigte Globalisierung der Weltwirtschaft können viele Probleme nur noch gemeinsam und international gelöst werden. Die SPD-geführte Bundesregierung betreibt deshalb eine globale Ordnungspolitik, die dem Welthandel, dem internationalen Wettbewerb, dem internationalen Finanzsystem und dem globalen Schutz von Umwelt und natürlichen Ressourcen einen international verbindlichen Rahmen setzt.

Unser Ziel, den Menschen weltweit ein menschenwürdiges Leben und eine Teilhabe an den Chancen der Globalisierung zu ermöglichen, ist nicht nur ein Gebot der Solidarität, sondern unserer ureigenen Interessen als Teil der Weltgesellschaft.

Kampf gegen Armut

Mit der Kölner Entschuldungsinitiative im Sommer 1999 hat die SPD-geführte Bundesregierung den Grundstein für bessere Lebenschancen in den Entwicklungsländern gelegt. Entschuldung wird durchgeführt, wenn nationale Strategien der Armutsbekämpfung unter Einbeziehung der Bevölkerung erarbeitet werden. So soll sicher gestellt werden, dass die Entlastungen vor allem den armen Bevölkerungsschichten zu gute kommen.

Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen zum Ziel gesetzt, den Anteil der Menschen, die in absoluter Armut leben, bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Dieses ehrgeizige Ziel unterstützt die Bundesregierung durch einen nationalen Aktionsplan.

Auch die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten werden große Anstrengungen unternehmen müssen. Schon heute stammen über 55% der weltweit bereitgestellten Mittel für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aus der EU und ihren Mitgliedsstaaten. Das ist eine große Leistung. Weitere Anstrengungen sind aber notwendig.

Verstärkte Integration der Länder des Südens und Ostens

Die Länder des Südens und Ostens brauchen eine faire Integration in den Welthandel. Durch eine bessere Beteiligung an den WTO-Strukturen müssen ihre Interessen im Welthandelssystem stärker berücksichtigt werden. Die Europäische Union ist für viele dieser Länder der wichtigste Handelspartner. Die EU muss für die ärmsten Entwicklungsländer einen freien Zugang zu ihren Märkten sicherstellen. Die von der EU beschlossene Marktöffnung für die 48 ärmsten Entwicklungsländer ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, der aber noch viel zu lange Übergangsfristen bis zur vollständigen Marktöffnung für bestimmte Produkte wie Zucker, Reis und Bananen vorsieht. Im Rahmen der WTO müssen Zölle und Handelsbarrieren für weiterverarbeitete Produkte zurückgeführt und gleichzeitig soziale und ökologische Mindeststandards im Welthandel stärker verankert werden.

Die gleichberechtigte Integration der Staaten des Südens und des Ostens in die globalen Strukturen politischer Entscheidungsfindung ist von großer Bedeutung. Die Stärkung der Handlungsfähigkeit der Entwicklungsländer und der Transformationsländer bei der Wahrnehmung ihrer legitimen Interessen auf weltweiter Ebene ist zudem ein wesentlicher Beitrag zum Frieden.

Vorsorgende Friedenspolitik und Krisenprävention

Entwicklungspolitik ist vorsorgende Friedenspolitik. Die Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit haben gezeigt, dass es darauf ankommt, die Menschen in ihrem Bemühen zu unterstützen, eigenständig und gewaltfrei Konfliktlösungen zu finden und Krisenpotentiale frühzeitig zu identifizieren.

Die technische, finanzielle und personelle Entwicklungszusammenarbeit soll dazu beitragen, konfliktfördernde und konfliktverschärfende Strukturen und Bedingungen abzubauen. Die SPD begrüßt, dass in allen Programmen der Entwicklungszusammenarbeit Krisenprävention ein integraler Bestandteil geworden ist.

Das neue Instrument des Zivilen Friedensdienstes muss weiter gestärkt werden. Die Friedensfachkräfte leisten vor Ort bei Vertrauensbildung, Konfliktschlichtung, Versöhnungsarbeit und Wiederaufbau einen wichtigen Beitrag für den Frieden. Mit dem Beschluss zum Aufbau von zivilen Kapazitäten zur zivilen Krisenprävention hat die EU einen wichtigen Schritt zur Weiterentwicklung der europäischen Entwicklungszusammenarbeit geleistet.

Nachhaltigkeit als globale Verantwortung Europas

Die globale Verantwortung Europas muss dazu beitragen, die Lebensgrundlagen kommender Generationen nachhaltig zu sichern. Die katastrophalen Auswirkungen des weltweiten Klimawandels treffen heute insbesondere die Länder des Südens. In Zukunft werden aber auch die Industrieländer immer stärker betroffen sein. Europa muss seiner globalen umweltpolitischen Verantwortung gerecht werden und eine führende Rolle einnehmen - u.a. bei der Reduktion des CO2-Ausstosses und bei der Förderung erneuerbarer Energien im Norden und Süden.

Die EU-Entwicklungszusammenarbeit muss effizienter und wirksamer werden. Hierzu wurden während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wichtige Beschlüsse gefasst. Die Bundesregierung hat die Entwicklung einer Gesamtkonzeption der EU-Entwicklungspolitik angestoßen und an der Ausarbeitung maßgeblich mitgewirkt. Dennoch bleiben wichtige Aufgaben: Die Kommission muss sicherstellen, dass die bereitgestellten Mittel zügig abfließen und dabei eine hohe Qualität gewährleistet ist. Kohärenz, Vereinfachung der Verfahren und Qualitätssicherung müssen wesentliche Kriterien sein.

Bei der Gestaltung der Globalisierung braucht Europa viele Partner - Regierungen wie zivilgesellschaftliche Akteure -, denn die internationalen Herausforderungen können nur gemeinsam gelöst werden. Die Nichtregierungsorganisationen leisten eine wichtige Arbeit. Ihre Fähigkeiten und Kenntnisse müssen genauso intensiv einbezogen werden, wie das wirtschaftliche und technisch-organisatorische Potential der Unternehmen.

Nachhaltigkeit ist nicht nur eine Forderung an die Umwelt- und Entwicklungspolitik. Um das menschenwürdige Überleben zukünftiger Generationen zu sichern, müssen wir bereits heute die gesamte nationale und internationale Politik an dem Ziel der Armutsbekämpfung und Nachhaltigkeit orientieren.

 

8. Europa vereinen

Vor über dreißig Jahren hat Willy Brandt mit seiner Ostpolitik die Grundlagen für die Überwindung der Spaltung unseres Kontinents gelegt. Heute sieht sich die SPD vor die Aufgabe gestellt, durch die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten in die Europäische Union sein historisches Werk zu vollenden.

Politisch und wirtschaftlich wird die Osterweiterung der EU sowohl für die Beitrittskandidaten als auch für die jetzigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein Gewinn. Die Europäische Union und die Beitrittskandidaten verbindet das gemeinsame Bekenntnis zu den Werten und Zielen von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und dem Schutz der Menschenrechte. Die Konflikte und Kriege auf dem Balkan beweisen die fundamentale Bedeutung des europäischen Integrationsprozesses für Frieden, Sicherheit und Stabilität in ganz Europa. Auch für den Kampf gegen die international organisierte Kriminalität und den Schutz vor illegaler Zuwanderung wird die EU-Erweiterung deutliche Vorteile bringen.

Mit der Erweiterung wird die Europäische Union zum weltweit größten Binnenmarkt. Ihre globale Wettbewerbsfähigkeit wird weiter gestärkt, denn die hinzukommenden Länder sind Wachstumsmärkte. In Deutschland als einem der wichtigsten Wirtschaftspartner der mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer sichert der Handel mit Mittel- und Osteuropa schon jetzt viele Arbeitsplätze.

Die EU ist auf den Beitritt vorbereitet: Unter deutscher Präsidentschaft hat der Europäische Rat bei seiner Tagung in Berlin im März 1999 den finanziellen Rahmen für die Osterweiterung der EU abgesteckt. Der Vertrag von Nizza vom Dezember 2000 stellt sicher, dass die EU nach ihrer Erweiterung handlungs- und beschlussfähig bleibt. Weitere Reformen müssen folgen.

Nunmehr liegt es an den Kandidatenländern ihre Beitrittsvorbereitungen so weiterzuführen, damit die angebotene Chance genutzt wird. Bisher haben diese Länder Beachtliches zur Erreichung der strengen Beitrittsvoraussetzungen geleistet und sind insgesamt auf gutem Weg. Sie halten entschieden Kurs und tragen hohe Anpassungslasten.

In schwierigen Bereichen wie z.B. Landwirtschaft, Verkehr und Umweltschutz werden Übergangsfristen bis zur vollständigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts unabweislich sein. Besondere Risiken können auch durch das große Wohlstands- und Lohngefälle zwischen Alt- und Neumitgliedern entstehen. Deshalb wird es wie bei den früheren EU-Erweiterungen im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit und in besonders sensiblen Bereichen der Dienstleistungsfreiheit Übergangsfristen geben müssen. Gerade in den Grenzregionen stellen sich mit dem erforderlichen Strukturwandel besondere Herausforderungen.

Die Erweiterung der Europäischen Union darf nicht zu neuen Gräben in Europa führen. Ein enges partnerschaftliches Verhältnis zu angrenzenden Staaten und Regionen wie Russland, der Ukraine und dem Balkan sind entscheidende Voraussetzungen für politische Stabilität auf unserem Kontinent. Die Erweiterung der Union muss deshalb auch zum Gewinn für die neuen Nachbarn der EU werden.

Die SPD tritt daher insbesondere dafür ein,

  • die Erweiterungsverhandlungen zügig und sorgfältig voranzutreiben, so dass die am weitesten fortgeschrittenen Länder bereits an den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahre 2004 teilnehmen können;
  • 7-jährige Übergangsfristen in den besonders sensiblen Bereichen wie der Arbeitnehmerfreizügigkeit oder Dienstleistungsfreiheit zu vereinbaren, die einerseits ein hohes Schutzniveau gegen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt bieten, andererseits jedoch durch flexible Ausgestaltung eine schnelle Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen erlauben;
  • dass für die besonderen Probleme der Grenzregionen rechtzeitig sachgerechte Lösungen gefunden werden, um ihre Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität als Wirtschaftsstandort zu erhöhen;
  • dass die Bürgerinnen und Bürger durch eine umfassende Informationspolitik in die Diskussion über Chancen und Herausforderungen der Erweiterung einbezogen werden;
  • dass die EU auch weiterhin eine führende Rolle bei der politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung der Staaten Südosteuropas übernimmt;
  • das Verhältnis zu den anderen europäischen Ländern, wie z.B. Russland und der Ukraine, auf partnerschaftlicher Grundlage fortzuentwickeln, damit sich ganz Europa zu einem gemeinsamen Raum politischer Stabilität und Prosperität entwickelt.

 

9. Aufgaben klar zuweisen

Die historisch gewachsene Aufgabenverteilung zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten entspricht nicht mehr den Anforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Mitgliedsstaaten - und in Deutschland auch die Länder und Kommunen - haben im Verlauf dieses Prozesses an politischem Gestaltungsspielraum verloren, obwohl in vielen Bereichen sachgerechte Entscheidungen besser auf ihrer Ebene getroffen werden. Andererseits verfügt die Europäische Union auch heute noch nicht über die Kompetenzen, die zur Wahrung ihrer Interessen auf internationaler Ebene oder zur Wahrung der inneren Sicherheit erforderlich sind.

Dem gegenwärtigen System der Aufgabenverteilung mangelt es an Transparenz und Klarheit. Deshalb ist häufig nicht erkennbar, welche politische Ebene für Entscheidungen verantwortlich ist, die direkt in die Lebenswirklichkeit der Bürger eingreifen. Die Legitimität politischen Handelns auf europäischer Ebene wird damit in Frage gestellt.

Die SPD begrüßt daher, dass es der Bundesregierung gelungen ist, in Nizza die Partner von der Notwendigkeit zu überzeugen, auf einer weiteren Reformkonferenz der EU im Jahre 2004 eine genauere, dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten vorzunehmen. Für den Bürger muss klar erkennbar werden, wer welche Politik zu verantworten hat. Darüber hinaus bedarf es klarer und transparenter Entscheidungswege zwischen der Europäischen Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament, die für den Bürger nachvollziehbar sind.

Die SPD fordert daher bei Wahrung des Grundsatzes von Bürgernähe und Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten der EU,

  • dass durch eine klare Aufgabenzuweisung die politische Verantwortung der europäischen Ebene und der Mitgliedsstaaten in nachvollziehbarer Weise abgegrenzt wird. Das Recht, der EU neue Kompetenzen zu übertragen, muss bei den Mitgliedsstaaten verbleiben. Die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist und bleibt eine Frage der innerstaatlichen Politik;
  • dass Vorkehrungen gegen einen schleichenden Kompetenztransfer auf die europäische Ebene getroffen werden. Querschnittskompetenzen, z.B. die Binnenmarktkompetenzen und Wettbewerbsregeln, dürfen nicht zu einer Aushöhlung der Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten führen;
  • dass Aufgaben, die durch die Mitgliedsstaaten entsprechend des Subsidiaritätsprinzips sachgerechter wahrgenommen werden können, auf die nationale Ebene zurückverlagert werden, wenn dies den Binnenmarkt nicht gefährdet. Dies gilt besonders für die Kompetenzen der EU in den Bereichen Agrar- und Strukturpolitik, um den Spielraum für eine eigenständige Regional- und Strukturpolitik der Mitgliedsstaaten auszuweiten;
  • dass die Gestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedsstaaten zur Sicherung der Öffentlichen Daseinsvorsorge gewährleistet bleiben;
  • dass die Handlungsfähigkeit der EU in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik, innere Sicherheit und Zuwanderung durch weitere Vergemeinschaftung gestärkt werden, da einzelne Mitgliedsstaaten immer weniger in der Lage sind, ihre Interessen international wirksam zur Geltung zu bringen;
  • dass die Transparenz der Entscheidungswege auf europäischer Ebene durch Ausbau der Kommission zu einer starken europäischen Exekutive, durch die weitere Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments mittels Ausweitung der Mitentscheidung und volle Budgethoheit sowie durch den Ausbau des Rates zu einer europäischen Staatenkammer gestärkt werden.

 

10. Die Zukunft Europas demokratisch gestalten

Niemand wusste vor zehn Jahren, wie Europa heute aussieht. Niemand weiß heute, wie Europa in zehn Jahren aussehen wird. Aber damals wie heute gilt: Die Zukunft Europas liegt in den Händen seiner Bürgerinnen und Bürger. Deshalb wollen wir engagiert für eine gute Zukunft Europas streiten.

Besser als jeder Staat für sich allein können wir in Europa gemeinsam unsere politischen Ziele erreichen, oftmals bereits durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit und durch nachbarschaftliche Kooperation. Wir müssen aber verstärkt darüber nachdenken, in welchen Strukturen und in welcher Verfasstheit die Zukunftsaufgaben am besten bewältigt werden können.

Dabei geht es nicht um technische Fragen, sondern um Demokratie und Beteiligung.

Gerade Europa ist auf Beteiligung, auf Kritik, auf Zustimmung, auf Diskussion seiner Bürgerinnen und Bürger dringend angewiesen.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands wird dafür eintreten, dass es in Deutschland und in Europa eine öffentliche Debatte über die politischen Ziele der Europäischen Union geben wird.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands wird dafür eintreten, dass es in Deutschland und in Europa eine öffentliche Debatten über die Struktur- und Entscheidungsmechanismen der Europäischen Union geben wird.

Bei dieser öffentlichen Debatte sind alle gefordert: Bürger und Regierungen, Staat und Gesellschaft, Europäisches Parlament und nationale Parlamente, EU-Kommission und Europäischer Rat, Parteien und Verbände, Städte und Gemeinden.

Wir wollen bei der Stärkung und der Diskussion über die Verfassungsgrundlagen, in die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament im Sinne einer echten Parlamentarisierung umfassend einbezogen werden, mit dieser Debatte über Verfassungsgrundlagen

  • die Charta der Grundrechte in die Verträge einbeziehen und damit einen weiteren Schritt in Richtung einer Europäischen Verfassung machen;
  • ein europäisches System der Gewaltenteilung zwischen EP, Rat und Kommission schaffen, welches den Grundsätzen von demokratischer Legitimität, Effizienz und Transparenz entspricht;
  • die Verträge und Entscheidungsverfahren vereinfachen und demokratischer gestalten;
  • die Aufgaben zwischen der Europäischen Union, den Mitgliedsstaaten, den Ländern und Kommunen klarer verteilen;
  • die Grundlagen für eine wirkungsvolle Außenpolitik der Europäischen Union schaffen.

Diese Debatte, die in eine Regierungskonferenz 2004 münden wird, ist keine weitere Vorbedingung für die Erweiterung der EU. Die Staaten und Gesellschaften der Beitrittsländer sind in diesen auf Nizza folgenden Prozess ausdrücklich einbezogen.

Wir sind und bleiben zuversichtlich, wenn es um die Zukunft Europas geht:

  • Wir werden in zehn Jahren in einem Europa leben, dass größer sein wird als heute und dass enger verflochten sein wird als heute.
  • Wir werden in zehn Jahren in einem Europa mit einer Verfassung leben.
  • Wir werden in zehn Jahren in einem Europa mit einer Währung leben.
  • Wir werden in zehn Jahren in einem Europa mit gemeinsamen Werten und vielen verschiedenen Sprachen und Kulturen leben.

Dafür werden wir zusammen mit unseren europäischen Schwesterparteien eintreten.

Die SPD wird auch in Zukunft ihren Beitrag für eine starke und effiziente Sozialdemokratische Partei Europas leisten. Je wichtiger die Europäische Union wird, desto bedeutsamer wird die Weiterentwicklung der SPE. Das Prinzip "Demokratie braucht Partei" gilt nicht nur für jedes einzelne Mitgliedsland. Es gilt auch bei der Vertiefung der europäischen Integration. Deshalb wird die SPD ihre Anstrengungen verstärken, um die Verständigungsprozesse in der europäischen Sozialdemokratie über Grundwerte, Ziele, strategische Schlüsselprojekte und aktuelle Politikfelder voranzubringen. Nur eine starke europäische Sozialdemokratie hat wirklich die Kraft, ein Europa des Friedens, der Freiheit, des Wohlstands und der sozialen Gerechtigkeit zu schaffen und zu erhalten.

Verträge, Abkommen, Verfassungen...