Sprachwahl und
Macht
"English
Is the Lingua Franca in Cannes" war kürzlich ein Bericht
im Time-Magazin (22. Mai 2000) überschrieben. Darin heisst
es über den Film Vatel: "Yet this purely Galic story, presented
as the opening attraction at France's best-known annual cultural
event, is in English". Und weiter über den Star: "At, the 53rd
Cannes Film Festival, Depardieu may answer press questions in French,
but in Vatel he must kneel before the gods of international commerce
and try to speak English." Die Metapher vom Niederknienmüssen
impliziert, dass Zwang ausgeübt wird. Ein Mensch wird gezwungen,
eine andere Sprache zu sprechen, als ihm genehm ist. Jedoch ist
es offenkundig nicht die Sprache als solche, die diesen Zwang ausübt,
sondern eine dahinterstehende Macht: der internationale Kommerz.
Er zwingt - so die Insinuierung - alle Personen, die sich daran
beteiligen wollen, die ihm genehme Sprache zu sprechen. Es wäre
irreführend, eine bestimmte Sprache per se als Macht zu bezeichnen,
zumindest in Situationen dieser Art. Betrachten wir einige weitere
Beispiele, speziell solche, die zum Aufstieg des Englischen zur
Weltsprache beigetragen haben. [
]
1. Bis zum
Ersten Weltkrieg war Französisch die vorherrschende Sprache
der internationalen Diplomatie. Bei den Verhandlungen zum Versailler
Vertrag erlebten die Franzosen die unangenehme Überraschung,
dass sich die Amerikaner und Briten der englischen Sprache bedienten.
Zur Begründung verwiesen sie zunächst auf die schlechten
Französischkenntnisse des amerikanischen Präsidenten Woodrow
Wilson, bis sie dann das gewichtigere Argument aus dem Sack ließen,
dass der Krieg nur mit amerikanischer Hilfe gewonnen wurde. Gegen
den erbitterten Widerstand Frankreichs setzten Amerikaner und Briten
Englisch als gleichberechtigte zweite Verhandlungssprache durch.
Ihr Erfolg hatte weitreichende Konsequenzen. Englisch wurde damit
nämlich nicht nur Vertragssprache von Versailles, sondern auch
Amtssprache des durch den Friedensvertrag geschaffenen Völkerbundes.
Französisch behielt zwar einen gleichrangigen Status, büßte
aber seine bis dahin unbestrittene Suprematie ein. Offenkundig lag
auch die Machtbasis für diese Statusverschiebung nicht bei
der Sprache selber, sondern bei den amerikanischen Waffen beziehungsweise
beim amerikanischen Volk, das sie produziert hatte. [
]
2. Schwieriger
eruierbar scheint die Machtbasis, aufgrund deren sich international
operierende deutsche Konzerne heute "gezwungen" sehen, Englisch
unter ihre Amtssprachen aufzunehmen. Hier sind keine gebietenden
Herren erkennbar. Auch keine triumphierenden Kriegssieger. Der Ausgang
des Zweiten Weltkriegs eignet sich kaum als Erklärung für
diese Zwangslage deutscher Multis, da sich doch französische
oder neuerdings auch russische internationale Konzerne demselben
sprachlichen Druck ausgesetzt sehen: Auch sie kommen nicht umhin,
Englisch als Amtssprache einzuführen oder sich seiner - amtlicher
Status hin oder her - als Geschäftssprache zu bedienen. Hier
ist im Grunde dieselbe Macht im Spiel, der sich der anfangs genannte
Filmschauspieler Depardieu beugte. Es ist der englischsprachige
Markt, die Wirtschaftskraft der englischsprachigen Länder,
die größer ist als die Wirtschaftskraft der Länder
irgendeiner anderen Sprache. Wer an diesem Markt teilhaben will,
muss sich der englischen Sprache bedienen. Die englischsprachigen
Länder sind dagegen ihrerseits weniger auf den Markt der Länder
einer anderen Sprache angewiesen, der in jedem Fall kleiner ist
als der eigene. Ist also hier die Sprache selber eine Macht? Nein.
Es ist die Größe der Sprachgemeinschaft oder genauer:
ihrer Wirtschaftskraft. Sie wird deutlich beim Vergleich.
Größe
und Wirtschaftskraft der englischen
Sprachgemeinschaft
Vergleiche
der englischen mit anderen Sprachgemeinschaften (im Sinne der Gesamtheit
der jeweiligen Sprecher) sind nicht immer einfach. Schon bloße
weltweite Vergleiche der Sprecherzahlen müssen sich teilweise
auf zweifelhafte Quellen stützen. Im Grunde bleibt nur zu hoffen,
dass sich aus all den Angaben unterschiedlicher Provenienz wenigstens
eine richtige Tendenz herausschält. So stimmen ganz verschiedenartige
Angaben darin überein, dass nach der Zahl der Muttersprachler
Englisch keineswegs an der Spitze aller Sprachen rangiert, sondern
zumindest von Chinesisch weit übertroffen wird. Dieser Befund
gilt gleichermaßen für unterschiedliche Begriffe von
Muttersprache, sei es dass damit die von den Individuen lebensgeschichtlich
zuerst gelernte Sprache gemeint ist oder die Sprache, zu der sie
sich auf Befragen als "Muttersprache" bekennen. Die Zahlen für
Chinesisch liegen jeweils bei rund einer Milliarde, für Englisch
dagegen zwischen 350 und 450 Millionen. Andere Sprachen wie Hindi
(oder Hindi-Urdu) und Spanisch haben ungefähr gleich viele
Muttersprachler wie Englisch. [
]
Bei Zählungen,
die Fremdsprachler einbeziehen, ist es oft schwierig zu unterscheiden
zwischen Personen, die mit der Sprache wirklich kommunizieren können,
und solchen, die sie zwar irgendwann gelernt haben, aber in keiner
Weise beherrschen. Angesichts der Abgrenzungsschwierigkeit zwischen
wirklichen Sprechern und bloßen Lernern beziffert David Crystal
die Gesamtsprecherzahl des Englischen in Form einer Zahlenspanne,
die sich - für Muttersprachler und Nicht-Muttersprachler zusammengenommen
- zwischen den Extremen 670 Millionen und 1,8 Milliarden erstreckt.
Vielfach wird diese Zahl auch über den Daumen mit 1,5 Milliarden
angegeben. Sie umfasst dann immerhin rund ein Viertel der Weltbevölkerung
- weit mehr als die Gesamtsprecherzahl jeder anderen Sprache. Für
Deutsch beispielsweise liegt die Gesamtsprecherzahl zwischen 137
und 267 Millionen, wobei das obere Extrem allerdings auch die Personen
umfasst, die je Deutsch gelernt haben.
Englisch verfügt
somit über das größte "Kommunikationspotential"
aller Sprachen. Bemerkenswert ist auch, dass die Nicht-Muttersprachler
die Muttersprachler zahlenmäßig weit übertreffen.
Dies ist bei keiner anderen "natürlichen" Sprache so, nur bei
Kunstsprachen wie Esperanto. Die bloße Sprecherzahl verrät
die tatsächliche "Stärke" der englischen Sprachgemeinschaft
nur unvollkommen. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass
sie mehr Wirtschaftskraft auf sich vereint als irgendeine andere
Sprachgemeinschaft. Die Zweit- oder Fremdsprachler des Englischen
gehören oft zur "Elite", vor allem in den Nicht-Mutterländern.
Personen, die eine zusätzliche Sprache beherrschen, sind oftmals
privilegiert, und aus den obigen Zahlen folgt, dass diese Sprache
- weltweit gesehen - meist Englisch ist.
Noch deutlicher
wird die ökonomische Stärke der englischen Sprachgemeinschaft
allerdings bei den Muttersprachlern. Obwohl ihre Zahl keineswegs
die aller anderen Sprachen übertrifft, verfügen sie über
eine weit größere Wirtschaftskraft als die Muttersprachler
jeder anderen Sprache. Dies lässt sich zum Beispiel am Bruttoinlandsprodukt
messen. Man kann es über alle Länder der Welt addieren,
bei mehrsprachigen Ländern nach dem jeweiligen Anteil der Sprachgruppen
(Muttersprachler). Auf diese Weise habe ich folgende Proportionen
der Wirtschaftskraft für die Muttersprachler der größten
Sprachen errechnet: Englisch 4,27, Japanisch 1,28, Deutsch 1,09,
Russisch 0,80, Spanisch 0,74, Französisch 0,67, Chinesisch
0,45. Die für die Zeit um 1990 ermittelten Zahlen repräsentieren
US-Dollar in Billionen - jedoch sind die Proportionen wichtiger.
Danach übertrifft Englisch die in der Rangordnung nächstliegenden
Sprachen gleich mehrfach: Japanisch mehr als dreifach, Deutsch vierfach
und das nach Sprecherzahlen davorliegende Chinesisch sogar fast
zehnfach. In der Zwischenzeit hat sich der Abstand zwischen Englisch
und den unmittelbar anschließenden Sprachen Japanisch und
Deutsch auf Grund unterschiedlichen Wirtschaftswachstums noch vergrößert.
Die enorme Wirtschaftskraft der Muttersprachler und Nicht-Muttersprachler
des Englischen bildet die wesentliche Machtbasis der Sprache.
Ein weiterer
aussagekräftiger Parameter der Stellung von Sprachen in der
Welt ist die Zahl der Länder, in denen sie Amtssprache sind.
Danach bemisst sich zum Teil ihr Gewicht in der internationalen
Diplomatie; denn mit den jeweiligen Ländern kann man in ihrer
Amtssprache verkehren. Ebenso hängt davon teilweise die Stellung
der Sprachen in internationalen Organisationen ab. So sind von den
sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen vier zugleich die Sprachen
mit der größten Zahl von Ländern mit amtlichem Status,
nämlich Englisch, Französisch, Arabisch und Spanisch;
Ausnahmen bilden Russisch und Chinesisch, bei denen Größe
und politisches Gewicht der Mutterländer für den amtlichen
Status der Sprachen bei den Vereinten Nationen ausschlaggebend waren.
Wiederum freilich ist der "amtliche Status einer Sprache in einem
Land" begrifflich nicht eindeutig. Vor allem wird zwischen deklariertem,
womöglich in der Verfassung formuliertem, und faktischem Status
unterschieden. Maßgeblich ist, dass die Sprache in der Regierungsarbeit,
in den Parlamenten oder in der staatlichen Verwaltung gebraucht
wird. Fasst man den Begriff eng, so ist Englisch in mindestens 48
Staaten Amtssprache; gefolgt von Französisch (27), Arabisch
(23) und Spanisch (20). Bei einem sehr weiten Begriff hat Englisch
amtliche Funktion in nicht weniger als 112 "Territorien", gefolgt
von Französisch mit 54. Jedenfalls übertrifft nach diesem
Parameter - bei jeder Art von Begriffsfestlegung - Englisch wieder
deutlich alle andere Sprachen.
Die Funktion
als Lingua franca der Welt
Englisch ist
Amts- und Arbeitssprache in allen globalen und in den meisten internationalen
Organisationen, außer wenn sie auf bestimmte Ländergruppen
oder Regionen beschränkt sind wie etwa die GUS-Staaten. Es
ist daher auch universell einsetzbare Sprache der Diplomatie. Der
amerikanische Präsident oder der britische Premierminister
brauchen für diplomatische Kontakte und Auslandsreisen keine
Dolmetscher. Sie können - im Gegensatz etwa zu deutschen Politikern
- stets in ihrer Muttersprache verhandeln. Sofern Partner die Sprache
der internationalen Diplomatie nicht beherrschen, liegt es an ihnen,
Dolmetscher zu stellen.
Desgleichen
ist Englisch allgemein vorherrschende Sprache der internationalen
Geschäftswelt sowie Amtssprache aller Multis. Wer nicht über
solide Kenntnisse dieser Sprache verfügt, ist kein Global Player.
Deutsche internationale Konzerne sind von dieser Erfahrung tief
beeindruckt. Daher geschieht es immer wieder, dass Vertreter ihrer
Auslandsniederlassungen Stellenbewerber auf die eminente Wichtigkeit
von Englischkenntnissen hinweisen oder Deutschkenntnisse sogar ausdrücklich
für nutzlos erklären. Eine solche Äußerung
eines Vertreters der Firma Siemens in Südkorea empfanden die
örtlichen Germanisten und Vertreter des Faches Deutsch als
Fremdsprache als existenzbedrohend. Tatsächlich handelt es
sich dabei um einen der vielen Mechanismen, durch die das Englische
die anderen Sprachen immer mehr von der internationalen Bühne
verdrängt. [
]
Wissenschaftler
jeglicher sprachlichen Provenienz müssen sich darauf einrichten,
auf internationalen Konferenzen Englisch zu sprechen und auf Englisch
zu publizieren, wenn sie außerhalb der eigenen Sprachgemeinschaft
zur Kenntnis genommen werden wollen. Zwar haben Sprachen wie Französisch
oder auch Spanisch nicht selten ebenfalls offiziellen Konferenzstatus,
neben Englisch, jedoch finden sich ihre Anwender meist abgeschieden
in peripheren Zirkeln. Aufgrund dieser Umstände ist es nur
konsequent, dass Englisch in den nicht-englischsprachigen Ländern
nun auch in die Hochschullehre ein geführt wird. Ansätze
dazu gibt es sogar in vermeintlich so antiangelsächsischen
Bastionen wie Frankreich. Auch Deutschland bietet seit dem Wintersemester
1997/98 "Internationale Studiengänge" in englischer Sprache
an, im Sommersemester 2000 schon an 60 Hochschulen. Die nicht-englischsprachigen
Länder sehen sich zu diesem Angebot genötigt, unter anderem,
um überhaupt noch die gewünschte Zahl von Studierenden
aus dem Ausland zu gewinnen, die für zukünftige auswärtige
Kontakte von unschätzbarem Wert sind. Studienanfänger
aus aller Herren Länder können nämlich Englisch,
seltener dagegen andere Sprachen, und sind oft nicht bereit, als
Vorbedingung des Studiums eine weitere Fremdsprache zu lernen. [
]
Der niederländische
Soziologe Abram de Swaan hat im Zusammenhang mit der Dominanz des
Englischen als Lingua franca hervorgehoben, dass Sprachen zu den
"hyperkollektiven Gütern" gehören. Sie sind nicht nur
im Besitz von Kollektiven, sondern diese streben darüber hinaus
ihre noch ausgedehntere Kollektivierung an. Der Wert hyperkollektiver
Güter wächst für ihre Besitzer mit der Verbreitung.
Bei Sprachen erhöht sich dadurch das "Kommunikationspotential",
die Zahl der durch sie erreichbaren Personen und der Umfang ihrer
Anwendbarkeit als Kommunikations- und Handlungsmittel. Daher sind
Sprachgemeinschaften in aller Regel daran interessiert, dass möglichst
viele Personen ihre Sprache übernehmen. Sprachen großer
Sprachgemeinschaften sind, so gesehen, wertvoller als Sprachen kleiner
Sprachgemeinschaften. An der Kommunikation in den Wissenschaften
oder in den Medien kann man leicht zeigen, dass die Zugehörigkeit
zu einer größeren Sprachgemeinschaft auch durchaus materiell
vorteilhaft ist.
Nicht zu vergessen
sind außerdem immaterielle, vor allem kommunikative Vorteile.
Angehörige der englischen Sprachgemeinschaft können in
internationalen Kontakten fast immer ihre Muttersprache einsetzen,
auch die Mitglieder anderer großer Sprachgemeinschaften können
dies bisweilen, während die Angehörigen kleiner Sprachgemeinschaften
stets auf eine Fremdsprache umsteigen müssen. Der Schweizer
Psycholinguist Claude Piron hat in eingehenden Untersuchungen festgestellt,
dass bei Kontakten zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern
das "sprachliche Wohlbefinden" ersterer meist größer
ist als das letzterer. Dieser Unterschied im Wohlbefinden hat verschiedene
Gründe: Die geringere kognitive Anstrengung beim Gebrauch der
eigenen Sprache, die größere emotionale Nähe zu
ihr sowie das intuitive Wissen um die reichere Ausdrucksmöglichkeit
und die günstigere Wirkung der Äußerungen. In all
diesen wichtigen Hinsichten haben die Muttersprachler Vorteile gegenüber
den Nicht-Muttersprachlern. Diese Vorteile summieren sich bei den
Muttersprachlern des Englischen, das weitaus am häufigsten
solcherart asymmetrisch verwendet wird. All diese Vorteile wachsen
ihnen - wie es scheint - durch die Macht der Umstände zu. In
Wirklichkeit ist es die Macht der englischen Sprachgemeinschaft,
die Anderssprachige bei Kontakten zur Wahl des Englischen zwingt.
[
]
Es gibt keine
Anzeichen dafür, dass Englisch in absehbarer Zeit seine dominante
Rolle als globale Lingua franca einbüßt. Vielleicht jedoch
erreichen die anderen Sprachgemeinschaften auf längere Sicht,
dass nicht mehr die Muttersprachler allein die Normen dieser Sprache
bestimmen. Eine groß angelegte sprachenpolitische Kampagne
zugunsten der Nicht-Muttersprachler, die zahlenmäßig
ja immer mehr überwiegen, könnte am Ende zur gleichberechtigten
Anerkennung nicht-muttersprachlicher Varietäten des Englischen
führen. Im Grunde wäre schließlich sogar die Umbenennung
der Sprache angemessen, vielleicht in "Globalisch".
Zerstört
Englisch die anderen Sprachen ?
Unter Sprachwissenschaftlern
ist Dauerthema, dass von den heute weltweit rund 6000 Sprachen in
den nächsten Jahrzehnten vermutlich der größte Teil
außer Gebrauch kommt. In der Regel spricht man vom "Aussterben",
jedoch ist die darin enthaltene Analogie zu natürlichen Organismen
der angemessenen Einschätzung nicht unbedingt zuträglich.
Allerdings sind sich die Sprachwissenschaftler weitgehend einig,
dass das Verschwinden der kleinen Sprachen (mit kleinen Sprachgemeinschaften)
keine unmittelbare Folge der Expansion des Englischen ist. Meist
steigen ihre Sprecher nämlich nur auf die nächst größere
Sprache um, nicht gleich auf die Weltsprache. So wechseln Saterfriesen
oder Sorben zum Deutschen, Bretonen zum Französischen oder
Ladiner (in Südtirol) zum Deutschen oder Italienischen. Englisch
wird jedoch vielleicht indirekt wirksam. Da es mehr und mehr zusätzlich
zu der bisher übergeordneten Sprache gelernt werden muss, wird
Dreisprachigkeit erforderlich (zum Beispiel Sorbisch plus Deutsch
plus Englisch); und sie ist womöglich eine zu große kognitive
Belastung, so dass bei der - nach Auffas-sung der Sprecher - am
wenigsten wichtigen Sprache eingespart wird.
Außer
Zweifel steht, dass Englisch immer stürmischer in die Regionen
und Domänen aller anderen Sprachen vordringt. Dies tangiert
die dem Englischen nachgeordneten großen Sprachen, von denen
manche gleichfalls weltweit gelernt werden, am unmittelbarsten.
So hat sogar der frühere französische Erziehungs- und
Wissenschaftsminister Allègre 1999 erklärt: "L'anglais
ne doit plus être une langue étrangère." Und
in Deutschland wie auch Japan gibt es Initiativen, die sich in aller
Öffentlichkeit dafür einsetzen, Englisch zur zweiten staatlichen
Amtssprache zu erheben, neben autochthonem Deutsch bzw. Japanisch.
Die Initiativen in allen drei Ländern zielen hauptsächlich
darauf ab, die Englischkenntnisse in der Bevölkerung nachhaltig
zu verbessern. Diesem Zweck dienen auch von Land zu Land unterschiedlich
weit gehende Bestrebungen, den Englischunterricht schon in der Grundschule
als Pflichtfach zu verankern.
Diese Entwicklung
hat zumindest zweierlei einschränkende Auswirkungen auf die
autochthonen Sprachen. Einerseits dämpft sie den Bedarf an
Kenntnissen dieser Sprachen weltweit und damit die Motivation, sie
weiterhin als Fremdsprachen zu lernen, da man künftig die Kontakte
zu diesen Sprachgemeinschaften mehr und mehr auf Englisch pflegen
kann. Kenntnisse dieser Sprachen sind zunehmend nur noch für
spezielle Zwecke notwendig, um Geschichte und Kultur der betreffenden
Sprachgemeinschaften sehr genau zu studieren oder vielleicht auch,
um - im Falle scharfer Konkurrenz - ihren Markt zu erschließen,
was in der autochthonen Sprache besser gelingt als in einer Fremdsprache.
Vor allem die französisch- und deutschsprachigen Länder
spüren schon heute, dass die Nachfrage nach Unterrichtung ihrer
Sprachen vielerorts empfindlich nachlässt. Andererseits werden
alle anderen Sprachen von Englisch in ihrem Bau beeinflusst: in
Wortschatz, Struktur (Aussprache, Schreibung, Grammatik) und Pragmatik.
Für die Auswirkungen dieser Entwicklung, vor allem die massiven
Entlehnungen aus dem Englischen, stehen kritische Bezeichnungen
wie "Franglais", Japlish" bzw. "Denglish". Sie suggerieren polemisch
die Vermischung beider Sprachen. Bislang jedoch wurde in all diesen
Fällen die Struktur der aufnehmenden Sprache nur geringfügig
modifiziert, nicht etwa zerstört, wie es bei wirklicher Sprachmischung
der Fall wäre.
Um diese Frage
der Zerstörung gibt es in den meisten Ländern, deren Sprachen
betroffen sind, einen Disput. In Deutschland ist er - etwas vereinfacht
gesagt - organisiert in zwei Vereinen. Die These von der Zerstörung
der deutschen Sprache durch extensive Entlehnungen aus dem Englischen
bis hin zur Sprachmischung wird - übrigens mit großem
Widerhall in den Medien - verfochten vom "Verein deutsche Sprache"
(gegründet 1997, vormals "Verein zur Wahrung der deutschen
Sprache", Sitz in Dortmund). Die Mitglieder sind überwiegend
sprachwissenschaftliche Laien, die beachtliches politisches Engagement
entfalten. Für die Gegenthese, die deutsche Sprache sei durch
die Entlehnungen nicht in ihrer Substanz gefährdet, steht die
traditionsreiche "Gesellschaft für deutsche Sprache" (Sitz
in Wiesbaden). Details der Standpunkte lassen sich den Websites
der Vereine entnehmen(1). Der "Verein deutsche Sprache" stützt
seine Argumentation maßgeblich auf Analysen des Journalisten
Dieter E. Zimmer, der die Gefährdung des Deutschen in die eingängige
Formel gegossen hat, der "Tiefencode" der Muttersprache sei in Auflösung
begriffen. Er belegt die Gefährdung des Deutschen durch zahlreiche
Beispiele von Wörtern, die durch englische Entlehnungen entweder
verdrängt oder deren Bedeutungen modifiziert wurden sowie durch
den Nachweis, dass Deutsch weniger in der Lage war, die moderne
Computerterminologie strukturell zu integrieren als viele andere
Sprachen. Dagegen verweisen die teilweise rigoroser fachwissenschaftlich
argumentierenden Vertreter der "Gesellschaft für deutsche Sprache"
auf die - in der Tat nicht zu bestreitende - Unklarheit des Begriffs
"Tiefencode" oder führen vor Augen, dass die Entlehnungen aus
dem Englischen durchaus nach deutschen Mustern flektieren.
Die beschwichtigenden
Einwände der Sprachwissenschaftler sind zwar zutreffend: Die
Struktur der deutschen Sprache ist im großen und ganzen intakt
und durch die massenhaften Entlehnungen aus dem Englischen nicht
unmittelbar gefährdet. Allerdings bringen diese viele neue
Unregelmäßigkeiten mit sich und erschweren so den korrekten
Sprachgebrauch. Nur wer gut Englisch kann, weiß die zahlreichen
Neuwörter richtig zu handhaben. Es entsteht eine zusätzliche
Sprachbarriere zwischen den mehr und den weniger Gebildeten, ähnlich
der älteren durch Latinismen und Gräzismen. Im Unterschied
zu diesen sind die Neuwörter aus dem Englischen jedoch nicht
auf den Bildungs- und Wissenschaftswortschatz beschränkt, sondern
im Alltagswortschatz omnipräsent. Daher drohen schon bei Gesprächen
über ganz banale Themen sprachliche Ausrutscher. Ob dieses
soziale Sprachproblem womöglich durch die Lockerung sprachlicher
Normerwartungen entschärft wird, bedarf noch der Untersuchung.
Vielleicht ist das im Fernsehen um sich greifende Kokettieren mit
Sprachfehlern à la Verona Feldbusch ein Vorgriff auf diese
Tendenz.
Es gibt keinen
Grund für die Annahme, dass der Entlehnungsdruck aus dem Englischen
auf Sprachen wie Deutsch und Französisch in Zukunft abnimmt.
Nach bisherigen Erkenntnissen ist vielmehr von dem soziolinguistischen
Gesetz auszugehen, das besagt: Beim Kontakt einer prestigeträchtigen
Sprache mit einer prestigeärmeren wird mehr aus ersterer in
letztere entlehnt als umgekehrt. Dabei wird der Bau der Nehmersprache
dem der Gebersprache angepasst. Wie weit diese Entwicklung voranschreitet,
ist nicht nur von der Kontaktdauer, sondern von weiteren Umständen
abhängig wie der Sprachloyalität der Sprecher oder sprachplanerischen
und -politischen Maßnahmen. Die derzeitige Entwicklung ist
viel weniger durch direkte Machtausübung seitens der englischen
Sprachgemeinschaft bedingt als durch das Bestreben der Mitglieder
der anderen Sprachgemeinschaften, an den Verheißungen der
angelsächsischen Welt und am Kommunikationspotential ihrer
Sprache teilzuhaben.
________________________
(1) www.vwds.de; www.geist.spacenet.de/gfds/verlag-Dhtml.
Artikel
erschienen in MERKUR, Sonderheft "Europa oder Amerika", Sept./Okt.
2000, S. 867 ff.
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