Forum: Herr
Touraine, wie bewerten Sie die aktuelle Europa-Debatte ?
Alain Touraine:
Bei einem von J. Habermas organisierten Treffen, an dem auch ein
anderer Deutscher, Claus Offe, teilgenommen hatte, haben die Beteiligten
hinsichtlich der Bedeutung des Projekts Europa sehr unterschiedliche
Standpunkte bezogen. Ich glaube, dass nach Maastricht und Amsterdam
eine wirklich offene Diskussion zu diesem Thema Not tut.
Was nun aber
die europäische Integration betrifft, so lassen sich zwei grundlegende
Konzeptionen voneinander unterscheiden: auf der einen Seite eine
Konzeption, die ich als pragmatische Sichtweise bezeichnen möchte
und die D. Cohn-Bendit mit dem Bild einer sich allmählich ausweitenden
Pfütze beschrieben hat, die schliesslich den grössten
Teil nationalstaatlicher Kompetenzen umfassen werde. Um ein von
ihm gern angeführtes Beispiel aufzugreifen: Über das Problem
des Schienennetzes lässt sich nicht ohne europäische Konzertierung
befinden. Dieser Position fehlt es nicht an Argumenten. Auf der
anderen Seite gibt es die - auch wenn ich sie nicht unbedingt teile
- überaus brillante Sichtweise von Habermas, der zufolge die
Staaten Europas gezwungen seien, den Welfare State zu opfern. Als
Folge dessen hätten sie mit rechtsextremistischen Populismen
zu rechnen. Von dieser Warte aus kann die Demokratie nicht länger
auf staatlicher, sondern nurmehr auf europäischer Ebene fortbestehen.
Diese Konzeption hat auf nationalstaatlicher Ebene weitreichende,
in meinen Augen übertrieben negative Auswirkungen, daneben
allerdings auch positive, da sie den Vorschlag zu einer Ausarbeitung
einer europäischen Verfassung beinhaltet (auch wenn Habermas
klar geworden ist, dass dieser Vorschlag ein wenig überzogen
ist). Dennoch ist das ein Gedanke, der eine Diskussion verdienen
würde, die sowohl Juristen und Politikern als auch Philosophen
und Wirtschaftswissenschaftlern offen stünde.
Forum: Dieser
Gedanke scheint allerdings nicht unbedingt auf eine breite Akzeptanz
zu stossen, da er sich implizit auf den Föderalismus stützt.
A. T.: Er ist
gleichbedeutend mit Föderalismus! Obwohl ich der Vorstellung
zustimme, nach der es einen Bruch mit dem Nationalstaat als umfassendem
institutionellem Rahmen gebe, so vertrete ich doch einen einigermassen
gegenteiligen Standpunkt. Es ist zwar richtig, dass wir einer Trennung
von Nation und Staat beiwohnen und dass ein Europäischer Staat
im Entstehen begriffen ist, ich bin aber trotzdem der Ansicht, dass
diese Entwicklung die verschiedenen Nationen nur stärken wird.
So sollte es doch auf nationaler Ebene - zum Beispiel Frankreichs
- möglich sein, das Band zu sichern zwischen den gesellschaftlichen
Kräften und sozialen Forderungen einerseits, die zur Zeit zersplittert
sind, und den politischen Kräften andererseits, die augenblicklich
voll und ganz von der internationalen Wirtschaftssituation in Anspruch
genommen werden. Das politische System und der Staat sind also voneinander
getrennt. Es gibt auf der einen Seite das politisch-gesellschaftliche
System und auf der anderen den Staat und die internationale Wirtschaft.
Diesbezüglich gebraucht man häufig das Wort "Glocalisation",
das auf die Vorstellung einer Enwicklung des "Lokalen"
im Gegensatz zum "Globalen" zurückgreift (Basisdemokratie,
Vereinsbildung, die NGOs etc.). Ich finde diese Problematik hoch
interessant. Schliesslich darf auch nicht vergessen werden, dass
die Ereignisse einander Schlag auf Schlag folgen.
Forum: Wie
beurteilen Sie den beschleunigten europäischen Integrationsprozess
und seine Folgen seit dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall der
Berliner Mauer?
A. T.: Wenn
man an die Unterzeichnung der Römischen Verträge zurückdenkt,
dann handelte es sich dabei um ein Abkommen zwischen Staaten. In
gewisser Hinsicht gab es Europa noch gar nicht. Es war zu diesem
Zeitpunkt nur ein Projekt. Heute hingegen kann Europa in einer ganzen
Reihe von Bereichen seinen Willen durchsetzen und seine Fortentwicklung
beschleunigen.
Was die im
eigentlichen Sinne gesellschaftlichen Probleme betrifft, so gibt
es selbstverständlich kein europäisches Modell. Sollten
die Visegrad-Staaten der Union beitreten, so wird sich dieser Befund
nur bestätigen. Schon jetzt bestehen starke Disparitäten
zwischen Ländern wie Portugal und Dänemark, deren Gesellschaften
sehr unterschiedlich sind. Die Wirtschaftsdynamik stellte den Hauptfaktor
der europäischen Integration dar. Deswegen muss auch ein sinnvoller
Vergleich zwischen den verschiedenen Staaten Europas mehr auf der
Grundlage einer vergleichenden Untersuchung ihrer historischen Transformationsprozesse
gezogen werden als auf der Grundlage einer strengen Sozialanalyse.
Was jeden einzelnen Staat der Union in sozialer Hinsicht prägt,
ist zum Teil das Resultat seiner europäischen Integrationsbemühungen;
es ist aber auch eine Folge seiner Geschichte.
Nimmt man das
Wirtschafts- und Sozialmodell näher in Augenschein, dann kann
man sich mit Gewinn auf das Buch von Michel Albert über das
Rheinische Modell beziehen. Dieses Rheinische Modell entspricht
weder einem europäischen noch einem englischen Modell. Wie
aus seinem Namen hervorgeht, galt dieses Modell als das Modell Deutschland.
Seit zwei oder drei Jahren ist Deutschland nun im Begriff, zu einem
anderen Modell überzugehen. Die Umwandlungsprozesse der Deutschen
Bank, die einen nicht unbeträchtlichen Teil der deutschen Wirtschaft
repräsentiert, ist ein gutes Beispiel für diese Veränderung.
Deswegen, glaube ich, ist es ratsamer, sich weiterhin auf die europäische
Idee zu konzentrieren, d.h. auf die Suche nach der Bedeutung des
Projektes Europa und seiner Ausrichtung, sowie auch darauf, diejenigen
ausfindig zu machen, welche die grössten Gewinne dabei erzielen,
selbst wenn mir diese zuletzt genannte Problematik als ein wenig
überholt erscheint. Die streng vergleichend arbeitenden Studien
auf der Grundlage von Wirtschaftsdaten sind deswegen interessant,
weil sie wenigstens eine objektive Vergleichsbasis zwischen den
Mitgliedstaaten liefern. Dieser Analysetypus ist sicher genauer
als die allgemeinen Vergleiche der europäischen Gesellschaften.
Heute wollen
die Bürger vor allem über die Richtung Bescheid wissen,
die Europa einschlägt, und die Konsequenzen der getroffenen
Entscheidungen. Häufig ist zu hören, der Euro habe uns
vor internationalen Währungsturbulenzen bewahrt. Ich kann nicht
sagen, ob das zutrifft oder nicht. Aber es erscheint heute immerhin
als Realität, dass wir in wirtschaftlicher Hinsicht geeint
sind, finanzpolitisch zum Teil und währungspolitisch voll und
ganz.
Was sind die
Folgen einer solchen Entwicklung? Mehr noch: Wohin führt sie
uns? Wie wird diese Wirklichkeit in den verschiedenen Staaten der
Union wahrgenommen? Ist es die Wirtschaft, die alles dominiert oder
sind es im Gegenteil die Nationen, die an Bedeutung verlieren, so
wie Habermas ein wenig zugespitzter Gedanke lautet? Wir dürfen
diesen durchaus nicht unbegründeten Gedanken allerdings nicht
einfach übergehen, vor allem wenn man die aktuellen Probleme
bedenkt, wie beispielsweise die Krise der politischen Eliten. Man
stösst auf diese Art Problem bei dem neuen Kanzler Gerhard
Schröder, der wie unbestimmbar wirkt und wie jemand, der so
wenig wie möglich gesagt hat, was er eigentlich tun wolle.
Es scheint
mir, als konzentriere sich die Diskussion um die europäische
Integration nicht genug auf die wirkliche Bedeutung des europäischen
Projekts und auf die Richtung, die es einschlägt. Man kann
das Wort Föderalismus", das unmittelbar mit den
von mir angesprochenen Problematiken zusammenhängt, nicht ewig
vor sich her schieben. Es ist nicht recht ersichtlich, weder warum
dieses Wort verbannt worden ist noch wodurch es ersetzt worden wäre!
Ist konföderal besser als föderal? Was für eine Abgrenzung
will man zwischen den beiden Begriffen vornehmen? Auf diese Fragen
gibt es keine eindeutigen Antworten. So hat Europa vielleicht gut
daran getan, schrittweise voranzuschreiten und wie eine Pfütze
zu verfahren, die sich nach und nach vergrössert.
Forum: Ist
das demokratische Defizit, von dem heute die Rede ist, nicht gerade
auf diese Undurchschaubarkeit zurückzuführen?
A. T.: Natürlich.
Im Frühjahr des letzten Jahres wurde ich übrigens um einen
Vortrag in Amsterdam über die Demokratisierung Europas gebeten.
Dieses Thema umfasste, wenn ich es richtig sehe, drei Fragestellungen.
Sind Sie für die Demokratie? Ja, dieser Punkt ist unstrittig.
Ist Europa demokratisch? Nein, auch diese Frage ist nicht schwer
zu beantworten. Muss Europa demokratisch sein? Aus Spass habe ich
darauf negativ geantwortet. Damit wollte ich zum Ausdruck bringen,
dass die demokratischen Phänomene meiner Meinung nach per definitionem
von unten kommen müssen. Zur Zeit sind sie eher auf einer Ebene
unterhalb des Staates anzutreffen. Ich denke, dass sie auf das nationalstaatliche
Niveau übergreifen sollten. In diesem Stadium wäre es
dann möglich, die Frage der Demokratisierung Europas ernsthaft
in Betracht zu ziehen. Demgegenüber glaubt Jacques Delors an
die Notwendigkeit, schon jetzt politische Initiativen zur Demokratisierung
Europas zu ergreifen. So hat er zum Beispiel die Möglichkeit
erwähnt, eine Europawahl zu organisieren und einen Kommissionspräsidenten
einzuberufen, der vor dem Parlament verantwortlich sei. Auch wenn
ich möchte, dass es dazu kommt, so erscheint es mir eher unwahrscheinlich,
dass diese Veränderungen in dieser Form eintreten werden. Meiner
Meinung nach stellt sich die Frage der Demokratie in Europa zuallererst
auf staatlicher Ebene. Ich möchte, dass Europa demokratisch
wird, aber ich habe den Eindruck, dass man dorthin nur über
einen lang andauernden Prozess gelangen kann, der in jedem einzelnen
Staat zu einer Demokratisierung des politischen Systems selbst führen
muss. Man darf nicht die Augen davor verschliessen, dass unsere
politischen Systeme zur Zeit nicht demokratisch sind. Weder die
Menschen wissen wirklich, warum sie wählen, noch können
die Parteien mit Bestimmtheit sagen, wen sie repräsentieren.
Wofür stehen denn zum Beispiel die Kommunissten oder die Sozialisten?
Und - eine noch heiklere Frage - wen repräsentiert überhaupt
die UDF(1) oder die Mitte? Auf diese Fragen lässt sich heute
nur unter allergrössten Schwierigkeiten eine Antwort finden,
und diese Feststellung gilt ebenso für die meisten europäischen
Länder.
Forum: Um
noch einmal auf das "soziale Europa" zu sprechen zu kommen,
sehen Sie darin eine sinnvolle Perspektive?
A. T.: Aus
Gründen, die nichts mit den von mir bisher genannten zu tun
haben, glaube ich mehr und mehr, dass es nicht unbedingt ein soziales
Europa, wohl aber einen Trend zu einer sozialen Angleichung in Europa
gibt. So ist zum Beispiel eine Verringerung der Unterschiede zwischen
den Durchschnittsgehältern festzustellen. Noch vor zwanzig
Jahren waren Irland und Portugal Länder, die sich deutlich
stärker von den anderen unterschieden als heute. Es gibt ein
zentripetales Phänomen, u.a. auch in seiner einfachsten Erscheinungsform:
Europa verteilt grosse Summen. So dürften die Portugal bewilligten
Subventionsgelder zwischen 6 und 8% seines Bruttosozialprodukts
ausmachen, was eine kolossale Summe ist. Im übrigen lässt
sich durchaus behaupten, dass auch die Wiedervereinigung Deutschlands
einen Ressourcentransfer in einen Teil von Mitteleuropa, Ostdeutschland
nämlich, zur Folge gehabt hat, der von dem gesamten System
getragen wurde. Es gibt also Integrationsprozesse, welche die Ungleichheiten
zwischen den Ländern verringern und unmittelbaren Einfluss
auf den sozialen Bereich haben.
Übrigens
zeichnet sich in meinen Augen schon jetzt deutlich ab, dass es nicht
zu einem Abbau des europäischen Sozialmodells, d.h. der Sozialversicherungssysteme
zugunsten des Modells Thatcher, um es verkürzt auszudrücken,
kommen wird. Das Problem der europäischen Staaten und inbesondere
eines Landes wie Frankreich besteht in der Notwendigkeit, eine unabdingbare
Wettbewerbsfähigkeit mit der Bewahrung des Sozialversicherungssystems
in Einklang zu bringen. Dies ist durchaus möglich, unter der
Bedingung, dass man einer tiefgreifenden Umgestaltung des Staatssektors
zustimmt, der nur unzureichend funktioniert und riesige Summen verschlingt.
Trüge der Staat zum Beispiel nicht die Verantwortung für
die SNCF, Air France und den Crédit Lyonnais, wäre das
Sozialversicherungssystem noch zehn Jahre lang voll funktionsfähig.
Ich habe den
Eindruck, dass das Zeitalter des Liberalismus zu Ende geht. Ich
nenne das die liberale Übergangsphase. Demgegenüber waren
andere der Meinung, es handle sich um einen Übergang von einer
Staatswirtschaft zu einer liberalen Wirtschaft. Ich glaube nicht,
dass es eine liberale Wirtschaft gibt. Es gibt immer wieder Augenblicke
der wirtschaftlichen Liberalisierung, wenn die sozialen, politischen
u.a. Kontrollinstanzen dysfunktionell werden. Es ist unstrittig,
dass es während der "Trente Glorieuses", dem französischen
Wirtschaftswunder, sehr funktionelle Beziehung zwischen Staat und
Wirtschaft gegeben hat, was allerdings im Anschluss daran nicht
mehr von Dauer war. Wir befinden uns augenblicklich in einer Phase
starker Dysfunktionalität, egal ob es sich um Unternehmensmanagement,
staatliche Politik oder das Bildungssystem handelt. Dieses Problem
betrifft im wesentlichen Frankreich, ist allerdings auch für
bestimmte andere Länder von Relevanz.
Gleichzeitig
ist festzustellen, dass die eigentliche soziale Wirklichkeit in
der Bewusstwerdung der Bevölkerungen besteht. So wird es beispielsweise
unweigerlich zu einer europaweiten Rentendebatte kommen, die sie
unmittelbar betreffen wird. Keines der Länder der Union ist
heutzutage dazu in der Lage, dieses Problem eigenständig zu
lösen. Italien hat seine Probleme zum Beispiel immer über
Europa gelöst. Und in Frankreich weigert man sich, sich des
Rentenproblems anzunehmen. Meine Beamtenkollegen sind denn auch
weiterhin davon überzeugt, dass sie ihre Rente auf der Grundlage
eines Umverteilungsprinzips beziehen, während dieses doch nur
noch einem geringen Prozentsatz ihrer Rente zugrunde liegt und der
grössere Teil aus dem Staatshaushalt stammt.
Forum: Welche
Lösung halten Sie für die beste? Ein Kapitalertragssystem
etwa?
A. T.: Das
System der Rentenfonds gibt es in Europa bereits seit geraumer Zeit.
Im übrigen weiss ich nicht, was daran so schlimm sein soll.
Ausserdem ist der einzige Wirtschaftsbereich Frankreichs, in dem
es Rentenfonds gibt, der Staatssektor!
Forum: Warum
wird dann diese Frage gewissermassen tabuisiert?
A. T.: Das
hat etwas mit Ideologie zu tun. Man sollte dem aber keine allzu
grosse Bedeutung beimessen, da uns die Wirklichkeit immer wieder
auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Ich denke aber, dass
wir deswegen noch lange nicht ein Modell amerikanischen oder chilenischen
Zuschnitts einführen werden. Die Bevölkerung Frankreichs
ist bestimmt dazu in der Lage, die Umgestaltung des Rentensystems
zu akzeptieren, was manche Proteste oder Verständnisschwierigkeiten
nicht ausschliesst. Man sollte ihr dagegen keine Beitragserhöhungen
bei gleichzeitiger Reduzierung der Leistungsansprüche zumuten,
weil dies nur zu einer Situation wie im Jahre 1995 führen würde.
Die Bevölkerungen in den meisten europäischen Ländern
möchten nicht nur ein soziales Interventionsmodell in der Wirtschaft
beibehalten, sondern aufrechterhalten und fortentwickeln: Genau
darin besteht das europäische Modell.
Forum: Demnach
gibt es also eine europäische Sonderstellung in sozialpolitischer
Hinsicht, die sich trotz Globalisierung und Liberalisierung behauptet...
A. T.: Es gibt
in sozialpolitischer Hinsicht tatsächlich eine europäische
Sonderstellung. Aber ich habe so meine Zweifel an der Idee der Globalisierung,
hinter der sich ganz unterschiedliche Realitäten verbergen.
Ich denke allerdings, dass das europäische Modell ein Wirtschafts-
und Sozialmodell darstellt, was nicht unbedingt bedeutet, dass alles,
was augenblicklich zu diesem Wirtschafts- und Sozialsystem gehört,
Bestand haben muss. Diesbezüglich teile ich die Meinung von
Jacques Delors, der der Überzeugung ist, dass sich ein europäisches
Sozialmodell notgedrungen im Laufe der Integration Europas herausbilden
werde. Ein Beispiel: Es lassen sich die Steuersysteme nicht harmonisieren
ohne die Sozialpolitiken aufeinander abzustimmen.
Forum: Was
sind die Grundzüge dieses europäischen Sozialmodells?
A. T.: Die
Sozialversicherungssysteme haben nicht die erhofften Verteilungseffekte
gehabt. Das kostenlose staatliche Schulsystem erhöht noch die
Ungleichheiten. Die Krankenhauseinrichtungen und die sozialen Sicherungssysteme
verstärken nicht unbedingt die sozialen Ungleichheiten, sie
bekämpfen sie aber auch nicht. In sozialer Hinsicht waren die
Ergebnisse also relativ bescheiden. Deswegen haben wir unsere Ansicht
diesbezüglich modifiziert. Es ist nicht länger die Rede
von Domination oder Ausbeutung, sondern von Ausgrenzung oder Marginalisierung.
Man konzentriert sich nunmehr auf die Suche nach Mitteln und Wegen,
wie man sich gegen die grössten Risiken schützen kann.
So wie die Kommissionen, die den Industriesektor vor den Hauptrisiken
schützen, so werden auch die sozialen Sicherungssysteme als
kollektives Schutzmittel gegen die individuellen Hauptrisiken konzipiert
und gefördert.
Das europäische
Modell wird nicht zu einem durch und durch liberalen Modell herabgestuft
werden. Soweit ich unterrichtet bin, ist man in keinem Land dazu
bereit, diese Richtung einzuschlagen. Selbst Tony Blair versucht,
das Schulsystem und das Gesundheitssystem zu unterstützen,
was den Mindeststandard darstellt. Von einem allgemeinen Standpunkt
aus betrachtet, glaube ich, dass die staatliche Rolle in diesen
beiden Bereichen aufrecht erhalten, ja noch verstärkt werden
wird.
Eigene
Übersetzung des Forum
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