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• Der sozialpolitische Aspekt Europas
Die Industrie- und Handelskammer wird eine Technologieinitiative starten, die zum Ziel hat, mittelständische Unternehmen beider Länder miteinander in Kontakt zu bringen. Dies soll in Form von aber auch durch die Präsentation einzelner Technologiebereiche im Internet geschehen. Mit dieser Initiative sollen letztendlich mehr Kooperationen zwischen deutschen und französischen Unternehmen in diesem zukunftsträchtigen Feld ermöglicht werden. © 1999
Walter RIESTER - Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung


Für die neue Bundesregierung ist die Einbindung Deutschlands in die Europäische Union von zentraler Bedeutung für ihre Politik. Das gilt selbstverständlich für die deutsche Aussenpolitik, aber in grösserem Mass als bisher auch für die Innenpolitik und hier insbesondere für die Sozialpolitik. Dabei darf die Sozialpolitik nicht der Wirtschaftspolitik untergeordnet werden, sondern muss gleichberechtigt und gleichgewichtig sein.

In Europa besteht mittlerweile bei aller Ungleichheit der Sozialsysteme ein Konsens darüber, dass soziale Gerechtigkeit und ökonomische Effizienz zusammen gedacht werden müssen. In Grossbritannien beispielsweise prägte Tony Blair den sogenannten „dritten Weg". Es geht darum, freiheitliche Wirtschaftspolitik in einen Ordnungsrahmen zu setzen. Und es geht darum, dies mit einer auf Eigeninitiative und Verantwortung setzenden sozialen Politik zu flankieren. Das ist ein wichtiger Beitrag zum gemeinsamen Weg der europäischen Sozialdemokratien in die Zukunft.

In Europa ist die Einsicht gewachsen, dass sich eine Auseinandersetzung mit dem Sozialstaat nicht in der Kostendiskussion erschöpfen darf. Immer müssen sowohl der Stellenwert des Sozialsystems innerhalb einer sozialen Demokratie als auch seine Auswirkungen auf wirtschaftliche Entwicklung und Erneuerung beachtet werden.

Soziale Sicherung entfaltet ökonomischen Nutzen hauptsächlich auf drei Feldern: Eine verantwortungsbewusste Sozialpolitik macht Marktwirtschaft überhaupt erst akzeptabel, Sozialpolitik erweitert den Spielraum für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel, der von der Mehrheit mitgetragen und mitgestaltet wird, und Sozialpolitik vergrössert und entfaltet das Humankapital.

Wenn breite Bevölkerungsschichten existentielle Bedrohungen fürchten müssen, können sie notwendige, unverzichtbare Strukturreformen nicht akzeptieren. Die soziale Sicherung baut solche Ängste ab. Der Spielraum für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandel wächst in dem Masse, wie die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen in eine sozial ausgewogene Politik haben können. Sozialstaatlichkeit in Europa ist die Grundlage einer Vertrauenskultur, die wiederum Voraussetzung für innovatives und flexibles Wirtschaften ist.

Wenn wir auch nicht von einem europäischen Sozialmodell sprechen können, so beobachten wir doch eine neue Form der Konvergenz in Europa. In den EU-Ländern ist die Einsicht gewachsen, dass wir die Massenarbeitslosigkeit nur dann wirksam bekämpfen können, wenn wir eine neue Kultur des Vertrauens schaffen. Die Niederlande haben uns vorgemacht, wie eine solche Kultur des Vertrauens zwischen den Wirtschaftsakteuren und dem Staat aussehen kann. Auch Grossbritannien hat einen Vertrag zwischen der Regierung und der Wirtschaft geschlossen, um einer innovativen Gesellschaft den Weg in das 21. Jahrhundert zu ebnen. Fast alle europäischen Länder mit Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt verfügen über ähnliche Bündnisse.

Darum ist auch für die neue Bundesregierung das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit von herausragender Bedeutung. Wir wollen uns mit Wirtschaft und Gewerkschaften über eine gemeinsame Analyse der vorliegenden Probleme und Strategien zu ihrer Lösung verständigen. Das erste Treffen der Bündnispartner gibt Anlass zu Optimismus, dass wir im Verlaufe dieses Jahres zu konkreten Absprachen zum Abbau der Arbeitslosigkeit kommen werden.

Generell gilt, dass eine Balance zwischen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung nur möglich wird, wenn wir die schwerste Hypothek, die auf der sozialen Sicherung ruht, abtragen. Daher müssen alle Anstrengungen darauf konzentriert werden, wieder mehr Menschen in Arbeit zu bringen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat am 1. Januar 1999 die EU-Präsidentschaft übernommen. Wir wissen um unsere besondere Verantwortung für die Sozialpolitik und werden diese wahrnehmen. Mit dem Start des EURO ebenfalls zum Jahresbeginn wird die soziale Dimension in Europa sprunghaft an Bedeutung gewinnen. Wir müssen soziale Ausgleichsmechanismen für den Wegfall der Wechselkursanpassungen finden.

Nur durch eine Weiterentwicklung der Währungsunion zu einer politischen Union mit sozialem Charakter kann Europa den Menschen wieder näher gebracht werden. Deswegen steht die deutsche EU-Präsidentschaft unter dem Motto "Für ein wirtschaftlich und sozial starkes Europa".

Drei Hauptaufgaben sind es, die wir im ersten Halbjahr 1999 offensiv angehen werden :

1. Wir müssen auch auf europäischer Ebene die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt stellen. Der Stabilitätspakt muss durch einen wirkungsvollen Beschäftigungspakt ergänzt werden.

2. Wir streben den weiteren Ausbau sozialer Mindeststandards an. Ganz oben auf der Agenda steht hier das seit Jahrzehnten umstrittene Projekt der Einführung einer europäischen Aktiengesellschaft mit einer Sicherung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Hier wollen wir endlich zu einer für alle tragbaren Lösung kommen.

3. Wir wollen die Rolle des Arbeits- und Sozialministerrates stärken mit dem Ziel, dass die soziale Dimension Europas bei allen anstehenden wichtigen Entscheidungen ausreichend berücksichtigt wird. Hier geht es vor allem um Fragen der Osterweiterung, um die Reform der Strukturfonds und um eine neue Finanzstruktur der EU.

Mit dem Amsterdamer Vertrag verfügen wir über passende Institutionen und Instrumente. Die Gestaltungsmöglichkeiten dieser Instrumente werden wir nutzen und weiterentwickeln. Dabei wollen wir uns in unserem Handeln mehr in die Pflicht nehmen lassen, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Europa steht vor einer riesigen Herausforderung : Rund 17 Millionen Menschen in der Europäischen Union sind arbeitslos. Diese Herausforderung müssen wir annehmen und im partnerschaftlichen Miteinander bewältigen. Wir müssen unsere Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in Europa noch besser koordinieren. Dazu wird die deutsche Bundesregierung ihren Beitrag leisten !



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