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• Europa im Wandel - Auf dem Weg zum Europäischen Heimatmarkt
Ein europäischer Heimatmarkt, vergleichbar mit dem „home market" der Vereinigten Staaten, wird erst dann bestehen, wenn die Unternehmen das Gebiet der Europäischen Union tatsächlich als ihren Heimatmarkt betrachten können. Die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung ist ein großer Schritt auf diesem Wege. Das wohl wichtigste Gegenargument, mit dem sich die Befürworter der Währungsunion auseinandersetzen mußten, bestand in der Frage, ob eine Währungsunion ohne politische Union möglich sei. In der Tat gibt es kein historisches Beispiel dafür, daß sich mehr als zehn Nationalstaaten zu einer gemeinsamen Währung zusammengeschlossen hätten, ohne daß damit auch gleichzeitig eine politische Union verbunden gewesen wäre. © 1999
Karl von WOGAU - Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft im Europaïschen Parlament


Die Welt befindet sich derzeit im Umbruch. Das Schlagwort hierfür ist: "Globalisierung". Europa bereitet sich darauf mit grossen Schritten vor. Die bisherige Entwicklung der Europäischen Union hat sich in drei Abschnitten vollzogen. Der erste Abschnitt war die Europäische Zollunion, gekennzeichnet durch den gemeinsamen Aussenzolltarif, die im Jahre 1968 verwirklicht wurde. Der nächste war die Entwicklung zum Europäischen Binnenmarkt, gekennzeichnet durch die Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen zwischen den Mitgliedsländern. Dieser Abschnitt war am 1.1.1993 abgeschlossen.

Derzeit befinden wir uns in der dritten Phase der Entwicklung der wirtschaftlichen Integration, die durch die gemeinsame Währung gekennzeichnet wird. Diese Entwicklung wird in der nächsten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments verwirklicht werden, wenn der Euro das einzige Zahlungsmittel in fast allen Ländern der Europäischen Union sein wird. Zu diesem Zeit-punkt wird sich der bisherige Binnenmarkt zu einem Europäischen Heimatmarkt weiterentwickelt ha-ben.

Der europäische Binnenmarkt besteht zwar bereits seit 1993, in diesem Binnenmarkt existieren jedoch weiterhin 15 nationale Heimatmärkte nebeneinander, die nach wie vor durch Barrieren verschiedenster Art voneinander abgeschottet sind.

In den nationalen Heimatmärkten bestehen jeweils einheitliche Währungen, während im Europäischen Binnenmarkt bisher 15 Bilanzen in 14 unterschiedlichen Währungen erstellt werden mussten.

Im Heimatmarkt besteht eine funktionierende Infrastruktur: Es gibt durchgängige Verkehrsnetze, die Bereiche Telekommunikation und Energie versorgen die Bevölkerung flächendeckend und ohne Unterbrechungen; im Binnenmarkt ist dies noch nicht der Fall.

Im Heimatmarkt gibt es eine Gesellschaftsform für Aktiengesellschaften, im Binnenmarkt gibt es noch keine gesellschaftsrechtliche Form, die es erlauben würde, mit einem Unternehmen ohne Tochtergesellschaften den ganzen Markt abzudecken.

Im Heimatmarkt wird die Mehrwertsteuer nach dem Ursprungslandsprinzip erhoben, im Binnenmarkt gilt das Bestimmungslandprinzip. Mit diesen wenigen Beispielen wird schon deutlich, wie weit wir noch von der Verwirklichung des Europäischen Heimatmarktes entfernt sind.

Ein europäischer Heimatmarkt, vergleichbar mit dem „home market" der Vereinigten Staaten, wird erst dann bestehen, wenn die Unternehmen das Gebiet der Europäischen Union tatsächlich als ihren Heimatmarkt betrachten können. Das wird erst dann der Fall sein, wenn beispielsweise Lieferungen von Freiburg nach Lyon nicht mehr von der Auslandsabteilung des Unternehmens abgewickelt werden, sondern in gleicher Weise bearbeitet werden wie Lieferungen von Freiburg nach Frankfurt.

Die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung ist ein grosser Schritt auf diesem Wege. Das wohl wichtigste Gegenargument, mit dem sich die Befürworter der Währungsunion auseinandersetzen mussten, bestand in der Frage, ob eine Währungsunion ohne politische Union möglich sei. In der Tat gibt es kein historisches Beispiel dafür, dass sich mehr als zehn Nationalstaaten zu einer gemeinsamen Währung zusammengeschlossen hätten, ohne dass damit gleichzeitig auch eine politische Union verbunden gewesen wäre.

Beispielsweise war die deutsche Mark kein Schritt auf dem Wege zur nationalstaatlichen Einigung Deutschlands im 19. Jahrhundert, vielmehr wurde die Reichsmark erst nach 1870 eingeführt. Daraus wurde das Argument abgeleitet, die Einführung einer gemeinsamen Währung sei kein Bestandteil, sondern vielmehr die Krönung eines politischen Einigungsprozesses.

Bei den Verhandlungen über den Vertrag von Maastricht hatte die Bundesregierung und auch das Europäische Parlament das Ziel, Währungsunion und politische Union gleichzeitig voranzubringen. Dazu gehörte auch die Absicht, auf dem Gebiet der Aussen- und Verteidigungspolitik eine gemeinsame Handlungsfähigkeit der Europäischen Union herzustellen.

Trotz gewisser Fortschritte, die in Maastricht und später in Amsterdam erzielt wurden, wurde dies nicht erreicht. In der Währungspolitik spricht die Europäische Union seit Januar 1999 mit einer Stimme, in der Aussen- und Verteidigungspolitik sind wir noch weit davon entfernt. Dies gilt auch für die Politik im Bereich der inneren Sicherheit.

Andererseits kann man feststellen, dass die Europäische Union seit Maastricht und Amsterdam über das Stadium eines Staatenbundes weit hinausgewachsen ist. Daher spricht auch das Bundesver-fassungsgericht von einem Staatenverbund, den man weder als Bundesstaat, noch als Staatenbund bezeichnen kann. Die Europäische Union hat in den vergangenen Jahren einen Stand der Integration erreicht, der vielen Bürgern heute noch nicht bewusst ist.

Wir haben gemeinsame Grenzen nach aussen und offene Grenzen im Innern der Europäischen Union. Seit dem Vertrag von Maastricht gibt es die Unionsbürgerschaft, die sich aus der Staatsbürgerschaft der Mitgliedsländer ergibt, gleichzeitig aber auch ganz konkrete Rechte in der Europäischen Union eröffnet.

Seit der Ratifizierung des Vertrages von Maastricht haben die Bürger der Europäischen Union das Recht, an ihrem Wohnort an kommunalen Wahlen und an der Wahl des Europäischen Parlamentes teilzunehmen. Dies ist kein Ausländerwahlrecht, sondern ein Recht, dass sich aus der Unionsbürgerschaft ergibt.

Bei Reisen ausserhalb der Europäischen Union haben die Unionsbürger das Recht auf konsularischen Schutz auch bei den Botschaften und Konsulaten anderer Mitgliedsländer der Europäischen Union.

Ausserdem haben die Bürger der Europäischen Union die Rechte, die sich bereits aus den Römischen Verträgen ergeben, insbesondere das Recht auf Wohnen, Lernen und Arbeiten in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union. In der Form von Richtlinien und Verordnungen erlässt die Europäische Union Gesetze, die in allen Mitgliedsländern Geltung besitzen. Seit den Reformen der Verträge von Maastricht und Amsterdam werden diese zunehmend in einem demokratischen Zweikammergesetzgebungsverfahren vom Ministerrat und vom Europäischen Parlament erlassen.

Die Europäische Union verfügt auch über ein Geflecht von Institutionen, das stark genug ist, um ihre Kontinuität zu sichern. Seit 1979 hat sie ein direkt gewähltes Parlament, das in den vergangenen Jahrzehnten Haushalts- und Gesetzgebungsrechte erworben hat, bei der Bestellung der Exekutive mitwirkt und zunehmend seiner Aufgabe gerecht wird, diese zu kontrollieren.

Diese Exekutive, die europäische Kommission, verfügt über starke Handlungsmöglichkeiten in den Zuständigkeitsbereichen, die der Europäischen Union zugewiesen sind.

Dazu kommt der Ministerrat der Europäischen Union, Vertretung der Mitgliedsländer und zweiter Arm der Gesetzgebung der Europäischen Union.

Die stärkste Institution der Europäischen Union ist der Europäische Rat, der aus den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union besteht und der bei seinen Sitzungen die Grundlinien der Gemeinschaftspolitik festlegt.

Dazu kommt der europäische Gerichtshof, der über die Einhaltung der Regeln der Gemeinschaft wacht, der Rechnungshof, der die Ausgaben kontrolliert, die europäische Zentralbank, welche nach der Vorgabe der Verträge die Währungspolitik der Union gestaltet, der Ausschuss der Regionen, der Wirtschafts- und Sozialausschuss und der europäische Bürgerbeauftragte.

Dies zeigt, dass die Europäische Union heute schon viele Merkmale eines Staates besitzt, ohne selbst ein Staat zu sein oder dies anzustreben. Sie ist vielmehr eine Gemeinschaft von Nationen, die beschlossen haben, Teile der Souveränität gemeinsam auszuüben, um dadurch ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern. Dieses Konzept war in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich. Der erfolgreiche Start des Euro ist dafür nur eines von zahlreichen Beispielen.



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