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• Der Euro und der europäische Arbeitsmarkt
Kurzfristig lassen sich der normale Konjunkturaufschwung und die neuen Technologien durch das beschleunigte Wirtschaftswachstum erklären. Langfristig hängen die Problem mit dem Steuersystem und der demographischen Entwicklung zusammen. Der Konjunkturaufschwung im Euroraum im Jahre 1999 ist zweifellos zum Teil auf eine mit der Abwertung des Euro in Zusammenhang stehende verbesserte Wettbewerbsfähigkeit zurückzuführen. Abgesehen davon können zwei positive Faktoren in diesem Zusammenhang ausgemacht werden. Die Währungsunion wird - wie es ja durchaus bereits der Fall ist - auch eine Steuerkonkurrenz mit sich bringen, da sich der Wettbewerb nicht länger über die Wechselkurse vollziehen kann. Darüber hinaus ist in einem Territorium mit einer alternden Bevölkerung die Fähigkeit von zentraler Bedeutung, sein Erspartes zur künftigen Rentenfinanzierung klug anzulegen.© 2000
Patrick ARTUS - Professor an der Universität Paris I, (Panthéon-
Sorbonne)

Patrick Artus ist auch Direktor der Wirtschaftsstudien an der Caisse des Dépôts et Consignations und Professor an der Ecole Polytechnique.

Seit der Einführung des Euro wurde in der Eurozone ein stark beschleunigtes Wachstum und ein bedeutender Rückgang der Arbeitslosenzahlen beobachtet, wobei der Euro im selben Zeitraum gegenüber dem Dollar um 12% und gegenüber dem Yen um 25% verloren hat. Man könnte also versucht sein, die wirtschaftliche Leistungsstärke im Euro-Raum im Jahre 1999 auf die Schwäche der europäischen Währung zurückzuführen, die wiederum teilweise als Folge einer expansionistischen Währungspolitik angesehen werden könnte (der Interventionskurs der Europäischen Zentralbank ist erst im November von 2 auf 3% angehoben worden). Die Wirklichkeit erweist sich demgegenüber allerdings als komplizierter, hat doch in vielen Ländern ein spontaner Anstieg der Binnennachfrage aufgrund neu auf den Markt gekommener Produkte und Dienstleistungen eingesetzt, ohne dass ein Zusammenhang mit der externen Wettbewerbsfähigkeit des Euro-Raumes ersichtlich wäre. Diese Situation soll im folgenden durch einen Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland veranschaulicht werden, deren Ausgangsbedingungen in der letzten Zeit genau genommen stark voneinander abwichen.

Der Konjunkturaufschwung in Frankreich und Deutschland: parallele Entwicklung und grosse strukturelle Unterschiede

Für das Jahr 2000 wird in Deutschland und in Frankreich nunmehr mit einer Wachstumsrate in Höhe von 2 bzw. ungefähr 3% gerechnet. Beide Länder haben bei einer jährlichen Wachstumstendenz von 4% in Frankreich und 3% in Deutschland ihre Spitzenwerte Anfang des Jahres 1998 verzeichnet, daran anschliessend allerdings einen stetigen Wachstumsrückgang, wobei die deutsche Wirtschaft im ersten Halbjahr 1999 in eine Schwächephase geraten ist. Gleichwohl sind die Aussichten nunmehr ganz ähnlich. In beiden Ländern haben die Unternehmensinvestitionen zugelegt, die im ersten Halbjahr 99 in Frankreich bei einer Anstiegsrate von 7%, in Deutschland bei 9% liegen, und die Arbeitslosenrate ist ebenfalls rückläufig, in Deutschland langsam, in Frankreich schnell.

Gleichwohl ist die scheinbare Ähnlichkeit der Entwicklungen trügerisch. In Frankreich ist der Konjunkturaufschwung auf eine stark ansteigende Nachfrage nach Gütern und "neuen" Dienstleistungen (Telekommunikation, Informatik) zurückzuführen, die seit Anfang 1998 in bereinigten Jahreszahlen um 6 bis 7% gewachsen ist. Der Arbeitsmarkt ist in diesem Sektor um 5 bis 6% angestiegen.

In bereinigten Zahlen entstehen in Deutschland die Arbeitsplätze nicht aufgrund dieser neuen Dienstleistungen. Das Wirtschaftswachstum ist hier eine Folge der wieder zunehmenden Industrieexporte, vor allem im Bereich der Automobilindustrie und der Investitionsgüter. In seiner ausgeprägten Abhängigkeit von der jeweiligen Situation in der Industrie und dem Weltzyklus bleibt das Wirtschaftsmodell in Deutschland also weiterhin seinen Traditionen verbunden. Das französische Wirtschaftsmodell folgt mit einem schnell anwachsenden Technologiedienstleistungssektor hingegen einer stärker angelsächsisch geprägten Entwicklungsrichtung. Der Anteil der Industriearbeiterschaft an der Gesamtzahl der Beschäftigten beträgt in Deutschland noch 34%, während er in Frankreich bei lediglich 23% liegt.

Ist das französische Modell das Modell der Zukunft?

Der parallel verlaufende Wirtschaftsaufschwung in Frankreich und in Deutschland hat die meisten Beobachter hinsichtlich der Zukunftsaussichten der jeweiligen Länder überaus optimistisch gestimmt. Dennoch scheint es, als könne heute ein nachhaltiges Wachstum nicht länger allein auf der Industrie basieren.

In der Anfangsphase eines zyklischen Konjunkturaufschwungs kommt es stets zu einer starken Kapitalakkumulation, die den Ländern, in denen Investitionsgüter produziert werden, zugute kommt. Deren Industriewachstum ist somit also trügerisch.

Bei Produktivitätszuwächsen in der Industrie, die zwischen 4 und 5% schwanken, ist es mittelfristig ausgesprochen unwahrscheinlich, dass sich die Zuwachsraten der Industrieproduktion auf diesem Niveau werden halten können, so dass die Industriearbeiterschaft kontinuierlich zurückgehen wird.

Demgegenüber zeigt das Beispiel der Vereinigten Staaten, dass Produktionszuwächse im Dienstleistungssektor bei einem riesigen Potential an Arbeitsmöglichkeiten dauerhaft sehr niedrig, ja sogar negativ ausfallen können. Daraus liesse sich der Schluss ziehen, dass ungeachtet einer scheinbaren Symmetrie der kurzfristigen Entwicklungen die Situation Frankreichs gegenüber Deutschland mittelfristig deutlich günstiger ist. Es ist hierbei allerdings durchaus Vorsicht geboten.

Gemeinsame Strukturprobleme jenseits der jeweiligen Konjunkturlage und der unterschiedlichen Spezialisierungen

Die Konjunkturanalysen und die Strukturanalysen für Europa sind nur schwer miteinander in Einklang zu bringen. Erstere geben einen relativ grossen Optimismus zu erkennen mit einem offensichtlich relativ beständigen Wachstum, während letztere aufgrund der vielfältigen Probleme, angesichts deren man sich gar die Fragen stellen mag, warum sie nicht auch das kurzfristige Wachstum blockieren, zu einem starken Pessimismus Anlass geben. Lassen Sie uns einige Beispiele für diese Strukturprobleme anführen.

Auch wenn die Arbeitslosenrate der qualifizierten Arbeitskräfte in Folge des Wachstums rapide zurückgeht, gilt dies doch nicht für die weniger qualifizierten Arbeitskräfte. Die Arbeitslosenrate in Abhängigkeit vom Ausbildungsniveau ist aus neben stehender Tabelle ersichtlich.

Das Wirtschaftswachstum in beiden Ländern wirkt sich, unabhängig von seinem industriellen oder tertiären Charakter in Deutschland bzw. Frankreich, günstig auf den Arbeitsmarkt der besser qualifizierten Arbeitskräfte aus, bleibt aber für die anderen wirkungslos. Europa läuft damit also Gefahr, in naher Zukunft mit einem Engpass an besser qualifizierten Arbeitskräften konfrontiert zu sein und sich dabei als unfähig zu erweisen, die Arbeitslosigkeit im Bereich der gering Qualifizierten zu senken. Eine Verbesserung dieser Situation würde wahrscheinlich eine Reform der Sozialabgaben und vielfältigere Formen von Arbeitsverträgen erforderlich machen, die bis jetzt noch nicht in Angriff genommen worden sind.

Arbeitslosenrate und Ausbildungsniveau (in %, 1998, Quelle: OECD)

 

Ausbildungsniveau
 
Niedrig
Mittel
Hoch
Frankreich
14.0
8.9
6.5
Deutschland
13.3
7.9
4.9


Das Abgabensystem in Europa verdient im Grunde weniger wegen seiner Belastung kritisiert zu werden (bei einer verschiedenartigen institutionellen Organisation der Rentenversicherung, des Gesundheitssystems, der Ausbildung usw. ist ein Vergleich der Steuerlast zwischen den Ländern schwierig), als wegen seiner Struktur: die Sozialbeiträge machen in Frankreich 23%, in Deutschland 17% des BSP aus. Das stellt ein starkes Hemmnis zur Schaffung gering qualifizierter Arbeitsplätze dar, bei denen Arbeitskosten und Arbeitsmarkt ja gerade besonders eng verbunden sind.

Das zweite bedeutende Strukturproblem, das sowohl Frankreich als auch Deutschland betrifft, besteht in den Folgen der Überalterung für die Rentensysteme. In Frankreich liegt heute der Anteil der über 60jährigen an der Gesamtbevölkerung bei 20, in Deutschland bei 23%. Im Jahre 2030 wird der Anteil in Frankreich 30, in Deutschland 36% ausmachen. Zur Aufrechterhaltung grosszügiger Rentensysteme wäre in beiden Ländern eine Geldmasse in Höhe des Bruttosozialprodukts eines Jahres vonnöten, mit der die künftigen Renten anwachsen könnten.

Frankreich und Deutschland werden demnach also die Renten entweder stark kürzen müssen oder die Pflichtbeiträge kräftig anheben. In beiden Fällen bedeutet dies eine grosse finanzielle Belastung für jeden einzelnen werktätigen oder pensionierten Bürger. Potentieller Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, unzureichende Vorbereitung auf die Überalterung - es sind dieselben, schwerwiegenden strukturellen Probleme.

Und der Euro?

Wir sind bisher noch nicht weiter auf den Euro zu sprechen gekommen. Kurzfristig lassen sich der normale Konjunkturaufschwung und die neuen Technologien durch das beschleunigte Wirtschaftswachstum erklären. Langfristig hängen die Problem mit dem Steuersystem und der demographischen Entwicklung zusammen. Der Konjunkturaufschwung im Euroraum im Jahre 1999 ist zweifellos zum Teil auf eine mit der Abwertung des Euro in Zusammenhang stehende verbesserte Wettbewerbsfähigkeit zurückzuführen. Und weiter? Zwei positive Faktoren können in diesem Zusammenhang ausgemacht werden. Die Währungsunion wird - wie es ja durchaus bereits der Fall ist - auch eine Steuerkonkurrenz mit sich bringen, da sich der Wettbewerb nicht länger über die Wechselkurse vollziehen kann. Daraus ergeben sich einige negative Aspekte, wenn es z.B. um die Rückführung der Sozialversicherung geht, aber auch positive, insofern damit nämlich zu einer Umgestaltung des Steuersystems zugunsten des Arbeitsmarktes Anstoss gegeben wird.

Darüber hinaus ist in einem Territorium mit einer alternden Bevölkerung die Fähigkeit von zentraler Bedeutung, sein Erspartes zur künftigen Rentenfinanzierung klug anzulegen. Die Tatsache, dass der Euroraum bereits qualitativ bessere internationale Anleihenehmer anzieht, wirkt für die Bürger des Euroraums als Anreiz, ihr Geld in rentable Vermögenspapiere ohne Wechselkursrisiken anzulegen.

Der Euro stellt weder ein Heilmittel für die Strukturproblem dar noch ist er der zentrale Grund für die konjunkturelle Verbesserung. Gleichwohl wird er dazu beitragen, einige der mittelfristigen Schwierigkeiten, mit denen Europa konfrontiert ist, zu lösen.

Eigene Übersetzung des Forum



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