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• Frankreich muss eine Drei-Staaten-Führung akzeptieren
Seit der deutsch-französischen Annäherung im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg bestand die Politik Frankreichs stets darin, der Annäherung Englands an Europa Steine in den Weg zu legen bzw. ein Einverständnis zwischen Deutschland und England zu torpedieren. Dennoch haben sich die beiden Länder aus nahezu identischen Gründen aufeinander zubewegt: Deutschland, weil es nach einer neuen Normalität strebt, die eine leichte Abkühlung des Verhältnisses zu Frankreich impliziert, England, weil es seinerseits Zweifel an seinen Beziehungen zu einem kritisch beäugten Amerika hegt. Diese Annäherung wird noch zusätzlich dadurch verstärkt, dass Engländer und Deutsche gegenwärtig von Parteien regiert werden, die eine spürbar ähnliche Entwicklung durchlaufen haben. ©1999
Alexandre ADLER - Chefredakteur des "Courrier International"


Als sich Cecil Rhodes, der grosse Abenteurer Britisch-Südafrikas, dazu entschlossen hatte, sein beträchtliches Vermögen in den Dienst seiner geopolitischen Konzeptionen zu stellen, begründete er eine Stiftung, um die künftigen britischen und amerikanischen, aber auch - was nach 1918 ausser Gebrauch geriet - die deutschen Eliten durch eine Hochschulausbildung in Oxford und Cambridge einander näher zu bringen. In der Vorstellung des viktorianischen Englands war dieses weite mitteleuropäische Reich preussischer und protestantischer Prägung unter der Herrschaft Kaiser Wilhelm II, des leiblichen Enkels der grossen Königin, der natürliche und feste Verbündete des britischen Empires, und die spätere Hinzunahme zu diesem Bündnis der zusehends mächtiger werdenden Vereinigten Staaten sollte die Machtstruktur des anbrechenden 20. Jahrhunderts für alle Zeiten ergänzen: Niemand würde dieses Kräftedreieck London-Berlin-Washington dauerhaft herausfordern können, dessen intellektuelle Einigung mit den "Rhodes scholarships" bevorstand.

Es ist bekannt, was aus diesem etwas hoch fliegenden Traum vom "Ende der Geschichte" à la Cecil Rhodes geworden ist. Diese grossartige Idee, die an der Somme ein jähes Ende fand, wurde jedoch im Bloomsbury der 20er Jahre von der britischen liberalen Linken wiederaufgegriffen, vor allem aber von der isolationistisch und profaschistisch gesonnenen konservativen Rechten in den 30er Jahren sowohl in Amerika als auch in Grossbritanien.

Seit der asymptotischen Annäherung Frankreichs und Deutschlands nach 1945 hat sich gewissermassen das umgekehrte Phänomen ereignet: Wir waren hinter Charles de Gaulle die kleinkrämerischen Fürsprecher einer neuartigen Kontinentalsperre, welche die Engländer unablässig darin bestärkten, sich nicht ernsthaft für die Geschäfte des gemeinschaftlichen Europas zu engagieren. Kurzum - um es mit der Schärfe machiavellistischer Einsicht zu formulieren -, die beständige Politik Frankreichs in diesem ausgehenden Jahrhundert war es, entweder die Verständigung zwischen Deutschland und England zu hintertreiben oder aber Zwist zu säen. Im kommenden Jahrhundert wird diese Maxime genauso wenig haltbar sein wie so viele andere.

Da sorgt die Regierungsübernahme von Gerhard Schröder nur für eine natürliche und notwendige Beschleunigung, so dass wir dessen vielleicht noch rechtzeitig gewahr werden.

Bereits im späten 17. Jahrhundert hatten nämlich England und die protestantischen Fürsten von Hannover, Zentrum des heutigen Niedersachsen, durch Personalunion dieses an die britische Krone anschliessen wollen.

Schon im Jahre 1945 bemühten sich eine Reihe von ausgesuchten Experten aus London - zumeist der Labour Party - mit grösster Selbstverständlichkeit in eben dieser wieder zum Zentrum der britischen Besatzungszone aufgestiegenen Region um den Wiederaufbau einer anglophilen politischen Klasse und einer stark arbeiter- und gewerkschaftszentrierten Sozialdemokratischen Partei, die unter der eisernen Führung einer Gruppe ehemaliger, gerade erst aus den Lagern befreiter Deportierter stand und deren Anführer Egon Franke hiess.

Dem jungen Gerhard Schröder und seinen Weggenossen aus der dem Kommunismus nahe stehenden Linken der Jusos ist es nur unter grösster Anstrengung gelungen, diese alte Garde in den frühen 70er Jahren abzulösen, doch sie konnten sich dabei der Unterstützung Willy Brandts sicher sein, den Frankes Kritik an der Ostpolitik stark aufgebracht hatte. Die Frage ist allerdings legitim, in welchem Masse nicht auch Gerhard Schröder, der seit seinem Eintritt in die Jusos mit der Bewunderung für die britische Labour Party gross wurde, eine spektakuläre Kurskorrektur vornehmen und nunmehr die anglophilen Vorstellungen eines Egon Franke annehmen könnte.

In Wahrheit geht es aber um weit mehr als um Geschichte und Geographie: Zwei Gesellschaften haben sich aus nahezu symmetrischen Gründen aufeinander zubewegt. Deutschland - das ist zu einem Gemeinplatz geworden - strebt nach einer neuen Normalität, die auch ein Aufweichen seiner europäischen, vor allem finanziellen Verpflichtungen und damit als unausweichliche Konsequenz eine moderate Lockerung seiner ausschliesslichen Beziehung zu Frankreich beinhaltet. Die Briten bekommen ihrerseits langsam begründete Zweifel an der Ausschliesslichkeit ihrer Bindungen zu einem Amerika, das sie mit Unruhe erfüllt, und versuchen sich somit verstärkt Kontinentaleuropa anzuschliessen, wo sie aber noch einmal (fast) von vorne beginnen müssen, weil sie es in den 50er Jahren versäumt haben, die von allen Europäern - einschliesslich Frankreichs - angetragene Führungsposition anzunehmen.

Wunsch nach Neugewichtung

Engländer und Deutsche werden heute nun von Parteien regiert, deren Entwicklung weitgehend parallel verläuft: Als Regierungsparteien par excellence während der Hochphase des sozialdemokratischen Keynesianismus haben Labour und die SPD zeitgleich den Eindruck erweckt, sich Anfang der 80er Jahre bewusst ins Abseits zu stellen, als sie hinter einer prokommunistischen 68er-Generation verschwanden, die Führungspositionen übernahm und durch eine vollständige Verantwortungslosigkeit in diplomatischen Fragen und ein um sich greifendes Unverständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge auffiel. Der Heilungsprozess verlief dementsprechend langsam und schrittweise und mündet jetzt in eine Art "Neubeginn" einer Linken, die nichts so sehr wünscht, als ihre jüngste Vergangenheit wie einen bösen Traum zu vergessen.

Engländer und Deutsche haben auch gelernt, bei dem ersten Modell eines europäischen Kampfflugzeugs zusammenzuarbeiten, während das Unternehmen Dassault nacheinander bei zwei französischen Präsidenten eine grandiose und kostspielige Rafale durchsetzte, deren wesentlicher strategischer Nutzen vor allem darin lag, eine stärkere Annäherung als vorhersehbar von British Aerospace (Bae) und Dasa zu betreiben, die sogar die Aussicht auf eine schnelle Fusion eröffnet, aus der Frankreich isoliert und in einer Minderheitsposition beim Airbus hervorgehen würde; nur eine späte, wie von der Vorsehung geschickte Allianz zwischen Aérospatiale und Matra könnte uns dank einer strategischen Verständigung von Matra und Bae noch vor dem Schlimmsten bewahren.

Ausserdem haben sich ihre Automobilindustrien aufeinander zubewegt, so dass Rolls-Royce zu einer Hausmarke von Volkswagen wurde; und schliesslich wurde die deutsche Rolle in der City durch den Aufkauf - kurz vor der tragischen Ermordung Herrhausens - von Morgan Grenfell durch die Deutsche Bank verstärkt, was auch Helmut Kohls spektakulärer Besuch vor zwei Jahren bekräftigte, der dort erfolgreich für den Euro warb, und dann gab es auch die im übrigen völlig natürliche Verbindung zwischen den Börsen London und Frankfurt dank erneuter französischer Willenlosigkeit.

Vergessen wir dabei schliesslich auch nicht die Rolle der Niederlande, Schwedens, ja sogar der Schweiz, die alle seit 1945 historisch mit London verbunden sind: Sie sind alle im Begriff, wieder eine starke kulturelle Identität mit der Berliner Republik auszubilden, und wünschen sich eine Neugewichtung des europäischen Hauses zugunsten Nordeuropas, dessen Interesse mehr der Marktdisziplin als den etatistischen Höhenflügen der Romanen gilt.

So sieht sich Frankreich also einer eigenartigen Herausforderung gegenüber gerade in dem Augenblick, wo der vielversprechende Euro-Start uns in der Illusion wiegen konnte, einer glücklichen Zukunft entgegenzustreben. Um gewissen Enttäuschungen in der Zukunft vorzubauen, ist grundlegende Vorsicht geboten. Liegt unser eigenes Wesensmerkmal von Richelieu bis Delcassé nicht darin, die Freiheiten in Europa zu verteidigen, was uns eigentlich dazu führen sollte, ein kontinentales Dreierdirektorium u.a. im Namen der unveräusserlichen Rechte Italiens, Schwedens oder der Niederlande abzulehnen, die nicht gering zu schätzen sind? Das wäre der sicherste Weg dazu, dass sich nach und nach eine nordeuropäische Ideenmehrheit gegen uns herauskristallisiert, ohne dass Rom oder Madrid deswegen in das Lager eines "französischen" Südeuropas stossen würden, das dabei notwendigerweise verlieren müsste.

Grundlegende Vorsicht

Denken wir schliesslich immer an Amerika, ohne jemals darüber zu sprechen. So wie wir hat auch die britische Führung nach dem Attentat des republikanisch bestimmten Kongresses auf Bill Clinton im tiefsten Innern sehr genau begriffen, dass die Vereinigten Staaten zur Führung der demokratischen Welt völlig ungeeignet geworden sind und dass sie in diesem halbbarbarischen Zustand noch eine ganze Weile verharren werden, auch wenn Tina Brown, die ehemalige britische Direktorin des "New Yorker", nunmehr zu Disney World gewechselt ist. So wollen wir die USA also nicht mit verbitterten antiamerikanischen Parolen herausfordern: Für uns sprechen die schwerwiegenden Neigungen des Kongresses zu einer kleinkrämerischen, protektionistischen und potentiell isolationistischen Nabelschau. Das wird genügen, um die Engländer, wenn wir es nicht übertreiben, jeden Tag ein wenig mehr von Europa zu überzeugen.

Unter der Voraussetzung grundlegender Vorsicht dürfte Frankreich von einem Mann wie Gerhard Schröder nichts zu befürchten haben, der genauso wenig wie wir die europäische Integration aufzuhalten oder die Fundamente des Gesellschaftsvertrags infrage zu stellen wünscht. Aber wir haben auch von dem grossen britischen Volk nichts zu befürchten, das doch zu unser aller Wohl den "Welfare State" erfunden hat. Es liegt an uns, uns nicht ganz allein zu isolieren aus Angst vor der Geschichte, die vor unseren Augen abläuft.

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