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• Europa mit Hauptsitz Frankreich-Deutschland
Wenn man einen europäischen Staat anstrebt, dann muss er selbstverständlich zuallererst mit jenen Mitgliedern realisiert werden, die auch den Willen und die Mittel dazu haben. Infolgedessen sollte die Erweiterung als eine allmähliche Schürzung immer enger werdender Beziehungen mit den Beitrittskandidaten konzipiert werden, die allerdings bis auf weiteres kein integrierter Bestandteil des Staates wären. Wenn die Union diesen Weg nicht einschlägt, ist es ungewiss, wie die Einheitswährung langfristig den sie zuerst lähmenden, dann aber spaltenden Zentrifugalkräften soll widerstehen können. © 1999
Joseph ROVAN - Professor em. an der Sorbonne

Joseph Rovan ist auch Präsident des BILD und Direktor der Zeitschrift "Dokumente" (F).

Einige Monate nach der Bildung der Regierung Gerhard Schröder drängt sich mit dem neuen Kalenderjahr eine Bestandsaufnahme der deutsch-französischen Freundschaft auf und vor allem auch der Rolle, die diese Freundschaft in den kommenden Jahren im Dienste einer Fortentwicklung der Europäischen Union - die zwangsläufig zu einem Bundesstaat werden dürfte - wird spielen können. Mit einer solchen Fragestellung verbinden sich eine Reihe von Unbekannten. Die erste betrifft die tatsächliche Entschlossenheit der französischen und deutschen Führung, auf dem so vorgezeichneten Weg fortzuschreiten. Die Einheitswährung beraubt die Staaten nationaler Prägung eines wesentlichen und symbolischen Bestandteils ihrer Souveränität, der nunmehr einer fraglos wichtigen Institution, der Europäischen Zentralbank, zufällt, welche aber keinesfalls als Staat, ja nicht einmal als Ansatz eines Staates betrachtet werden kann. Die sozialdemokratischen Führungen in Paris und Bonn haben das Erbe einer vor langer Zeit eingeleiteten Politik angetreten, von der sie sich weder wirklich abwenden wollten noch konnten, die von ihnen aber auch nicht als genau umrissene Etappe auf einem schrittweisen, aber durchaus zügigen Weg zur Begründung einer wirklichen politischen Einheit verstanden wurde, welche sowohl die Steuer- als auch die Einwanderungspolitik, die Arbeitsmarkt- und die Verteidigungspolitik, die Aussen- und die Kulturförderungspolitik harmonisieren würde; ein solches Vorhaben ist zu 16 natürlich nicht umsetzbar - solange Grossbritannien diesen Weg nicht beschreiten will -, und es beinhaltet eine deutliche Verlangsamung bei einer Öffnung der Union gegenüber neuen Mitgliedsländern. Wenn man einen europäischen Staat will, dann muss man ihn augenscheinlich zuerst mit denjenigen Staaten begründen, die den Willen und die Mittel dazu haben. Die Erweiterung muss dann also als schrittweise Gestaltung von immer enger werdenden Bindungen zu den Bewerberstaaten betrachtet werden, die dann allerdings bis auf weiteres keine vollgültigen Glieder eines Bundesstaates würden. Sollte die Union nicht auf diesem Wege fortschreiten, ist es ungewiss, ob die Einheitswährung den zentrifugalen Kräften, die zuerst ihre Lähmung und schliesslich ihr Auseinanderbrechen betreiben werden, langfristig wird standhalten können. Trotzdem wird aus den Verlautbarungen der französischen und der deutschen Führung - genauso wenig im übrigen wie aus denen ihrer konservativen Amtsvorgänger - weder unmissverständlich deutlich, dass der festgelegte Weg ein Weg zu einem europäischen Staat ist, noch die Etappen auf dem Weg dahin und die dafür vorbehaltenen Mittel. In Paris gerät die europäische Absichtserklärung genauso unentschlossen wie in Bonn (und dann wohl auch in Berlin). Das ist zwar sicher immer noch zuviel für Charles Pasqua, aber noch nicht genug für die Bürger, die man nur unzureichend auf grundlegende Weichenstellungen vorbereitet.

Jedwede ernsthafte Initiative zu einem europäischen Staat kann nur von Persönlichkeiten sehr hohen Ansehens ausgehen, wie es Churchill, Robert Schumann und Jean Monnet waren, oder von einer deutsch-französischen Freundschaft, wenn diese die Unterstützung von anderen hoch engagierten Mitgliedstaaten wie Italien, Holland oder Belgien erführe, die darin allerdings aus Furcht vor einer Art deutsch-französischer Vorherrschaft gebremst werden könnten. Mangels einer allgemein angesehenen Persönlichkeit drängt sich also der zweite Weg auf, den zu beschreiten die betroffenen Führungen allerdings nicht wirklich motiviert erscheinen. Sie müssen somit von Bürgerbewegungen dazu angestossen werden, wozu in allen Mitgliedsländern und ganz besonders in Frankreich und Deutschland ein Aufruf erschallen muss, dem sich die politischen Entscheidungsträger langfristig nicht entziehen können. Ein solcher Aufruf sollte sich als grundlegendes Hauptargument der Feststellung bedienen, dass kein Einzelstaat in Europa noch länger von sich behaupten kann, er sei souverän. Unabhängigkeit ist künftig nurmehr auf europäischer Ebene denkbar. In einer globalisierten Welt können künftig nur noch Weltmächte als souverän und unabhängig betrachtet werden, die einerseits mindestens so viele Einwohner besitzen wie die Vereinigten Staaten, deren Wirtschaftskraft sich andererseits zwischen Wall Street und Pekin behaupten kann und die auch über eine Militärkapazität verfügen, die die gesamte Bandbreite an Nuklearwaffen umfasst (genau genommen müsste man hier besser von Interdependenz sprechen wie zu Zeiten des Kalten Krieges, als zwischen den USA und der UdSSR Interdependenz herrschte). Stets stossen Frankreich und Deutschland, die beiden wichtigsten Länder der Europäischen Union (da Grossbritannien sich weiterhin selbst ausschliesst), an ihre Grenzen, die ihnen in ihren Beziehungen zu den wirklich "Grossen" durch ihre relative Schwäche aufgezwungen sind. Unsere Entscheidungsträger täuschen ihre Mitbürger allerdings über diese Grenzen hinweg, sicherlich, weil sie sich selbst darüber hinwegtäuschen oder auch weil sie sich nicht zu dem Vorschlag einer Begründung eines europäischen Staates, einer europäischen Weltmacht durchringen können.

In dieser Situation herrscht eine Lähmung der deutsch-französischen Strukturen, die seit 1963 begründet worden sind und die sich nun zu einer entscheidenden Institutionalisierung weiterentwickeln müssten: Die beiden Regierungen müssen sich dazu entschliessen, in einer bestimmten Anzahl von wichtigen Bereichen nur noch gemeinsam Entscheidungen zu fällen, die von gemeinsamen Beratungsorganen ausgearbeitet worden sind, vor allem in bezug auf die Europapolitik; aber diese Entschlossenheit müsste sich auch noch auf höhere Ebenen erstrecken, zum Beispiel mittels einer gemeinsamen Leitung des Ständigen Sitzes Frankreichs im Sicherheitsrat. Solche Beispiele hätten eine ansteckende Wirkung auf andere Mitgliedsländer, die sich voll und ganz der engen Grenzen ihrer Souveränität bewusst sind.

Die Bürgerbewegungen, die die französische und die deutsche Regierung dazu bringen müssen, ihre Kooperation zu institutionalisieren und dabei jede Einzelinitiative auszuschliessen (z.B. in der Art der einseitigen Abschaffung des Wehrdienstes in Frankreich), sollten die Einberufung einer europäischen Konstituante zur Ausarbeitung des Grundgesetzes eines europäischen Staates einfordern, so dass dieser - durch die Zustimmung seiner Bevölkerungen gestärkt - in der Welt seine Interessen geltend machen und die universellen Werte, die Europa verkörpert, fördern kann.

Die deutsch-französische Freundschaft im Dienst eines starken und offenen Europas: Mit diesem Programm lassen sich kurz vor dem nächsten Jahrtausend unsere Kräfte anstacheln.

Eigene Übersetzung des Forum

Veröffentlichungen

- "Mémoire d'un Français qui se souvient d'avoir été Allemand" -
Ed. Seuil, 1999.
- "Bismarck, l'Allemagne, et l'Europe unie - 1898 - 1998 - 2098" -
Ed. Odile Jacob, oct. 1998.
- "L'histoire de l'Allemagne des origines à nos jours" -
Ed. du Seuil, 1994.
- " Citoyens d'Europe" -
Ed. Robert Laffont, 1992.
- "Le Mur et le Golfe" -
Ed. de Fallois, 1991.
- "Les comptes de Dachau" -
Ed. Julliard 1987, rééd. le Seuil 1993.



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