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• Vom Mauerfall bis zur Berliner Republik
Deutschlands besonderes Gewicht, das es heute in Europa hat, wird notwendigerweise Folgen für die Zukunft haben. Man darf nicht glauben, dass das Europa von heute dasselbe ist wie früher. Es ist also völlig normal, dass Deutschland eine Rolle spielen möchte, die seiner Stellung in Europa und in der Welt entspricht. Demgegenüber ist es aber genauso natürlich, dass die Franzosen sich darüber Gedanken machen, wie sich diese Rolle mit der europäischen Einigung und den französischen Interessen vereinbaren lässt. Wenn Deutschland seine Interessen verteidigen darf, dann darf das Frankreich ebenfalls. Es geht dabei keineswegs darum, eine Konfrontation heraufzubeschwören. Es gilt vielmehr, sich ohne Umschweife einzugestehen, dass vielleicht Interessen bestehen, die sich auseinander entwickeln, und über Möglichkeiten nachzudenken, wie diese wieder in Einklang gebracht werden können. Deswegen wäre es auch beunruhigend, wenn es keine europapolitischen Vorschläge und Initiativen mehr geben sollte. Wenn Europa nämlich so bleibt, wie es ist, dann besteht die Gefahr eines Ungleichgewichts und einer deutschen Dominanz.© 2000
Georges VALANCE - Redaktionschef der Zeitschrift "La Vie
Financière"


Deutsch-Französisches Forum: In Ihrem letzten Buch "La Revanche de l'Allemagne 1989-1999", das gerade veröffentlicht wurde, kommen Sie zu dem Schluss, dass sich Deutschland seit der Wiedervereinigung und der Herausbil-dung der sogenannten "Berliner Republik" von Frankreich gelöst habe. Denken Sie nicht, dass diese Schlussfolgerung eher etwas mit den regierenden Politikern in beiden Ländern zu tun hat als mit einem tiefen Bruch der Dynamik zwischen Frankreich und Deutschland, die doch auf verschiedenen Ebenen weiterbesteht? So könnte man in diesem Zusammenhang beispielsweise an die kürzlich erfolgte Gründung der EADS erinnern, an Gerhard Schröders Wahl einer Französin als Frankreichberaterin, an die privilegierten deutsch-französischen Wirtschaftsbezie-hungen, die vielfältigen kulturellen Verbindungen, die vor allem dank der Kulturinstitute zwischen Frankreich und Deutschland bestehen, an die Einheitswährung, die für Deutschland eine grundlegende Entscheidung darstellte, an die deutsch-französischen Gipfeltreffen oder auch an die Nürnberger Verträge etc.

Georges Valance: In meinem Buch stelle ich vor allem Fragen. Es bildet eine Art Aufruf. Persönlich stehe ich Europa sehr positiv gegenüber, gleichwohl habe ich bereits vor dem Regierungswechsel in Deutschland bemerkt, wie die Vorschläge zur europäischen Einigung nahezu verschwunden sind. Nun ist ja bekannt, dass diese Einigung im wesentlichen auf französischen und deutschen Initiativen gründet. Seit dem Schäuble-Lamers-Bericht vom September 1994, in dem die beiden CDU-Spitzenpolitiker eine Konzeption Europas aus deutscher Sicht darlegten, scheinen ja nicht gerade viele Vorschläge gemacht worden zu sein.

Darüber hinaus hat man den Eindruck einer gewissen Gleichgültigkeit Deutschlands gegenüber Frankreich. Ein Beispiel: Die Art und Weise, wie die Entscheidungen in der Atomenergiepolitik angekündigt wurden, war zumindest merkwürdig; eine Partnerschaft kann so nicht funktionieren. Auch wenn dies letztlich nicht erfolgreich endete, kann man hier auch an die Art und Weise erinnern, wie die Allianz zwischen der Londoner und der Frankfurter Börse ohne Pariser Beteiligung geführt worden war. Noch vor einigen Jahren wären die Dinge wahrscheinlich nicht in dieser Form abgelaufen. Im übrigen halte ich die Rechtfertigung einer solchen Initiative für unglaubwürdig, der zufolge die Finanzwelt und die Industrie in Deutschland gegenüber der Politik vollkommen unabhängig seien. In Wahrheit gibt es innerhalb der deutschen Elite eine viel grössere Abstimmung als in Frankreich. Unser Land ist vielleicht gar nicht so zentralistisch, wie man es gern behauptet, und andererseits ist es auch nicht sicher, ob Deutschland so dezentralisiert ist, wie es scheinen mag. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Verantwortlichen der Deutschen Bank und der Deutschen Börse bei einer solchen Angelegenheit in der ein oder anderen Form mit Bonn Kontakt aufgenommen haben. Als Beleg dafür kann in meinen Augen gelten, dass Helmut Kohl, als er mit Gorbatschow in Kontakt getreten ist, um ihn davon zu überzeugen, sich der deutschen Wiedervereinigung nicht in den Weg zu stellen, die verantwortliche Führung der Banken eingeladen hat, die sogleich nach Moskau gereist ist. Zu keinem Zeitpunkt hat sie ihre Unabhängigkeit gegenüber der Staatsmacht vorgeschützt.

Forum: Hat sich Frankreich gegenüber Deutschland mit dem einseitigen Beschluss, die Wehrpflicht abzuschaffen, nicht ganz ähnlich Verhalten?

G. Valance: Das ist richtig. Im übrigen ist diese einseitige Entscheidung in Deutschland sehr schlecht aufgenommen worden. Die Frage hätte zwischen unseren beiden Ländern im Vorfeld diskutiert werden müssen. Trotzdem scheint es sich hier eher um eine vereinzelte Ungeschicktheit Frankreichs zu handeln.

Wenn man die europäische Wirklichkeit betrachtet, drängt sich der Eindruck auf, dass die Franzosen vielleicht mehr auf Europa angewiesen sind als die Deutschen, auch wenn sie sich - genauso wie ihre politische Führung - dessen nicht unbedingt bewusst sind. Wenn ich die aktuelle Lage analysiere, nehme ich immer den letzten Weltkrieg und die Nachkriegszeit als Ausgangspunkt. Damals bedeutete die europäische Einigung für Deutschland die Wiedererlangung der Souveränität. Für Frankreich entsprach dies zumindest theoretisch einem Souveränitätsverlust. Seit Deutschland nun seine volle Souveränität wiedererlangt hat, hat die Stunde der Wahrheit geschlagen: es ist nicht länger selbstverständlich, dass Deutschland wirklich auf die europäische Einigung angewiesen ist. Diese Situation wird sich sicherlich über mehrere Jahre erstrecken. Was mich daran interessiert, ist es, mögliche Tendenzen aufzuzeigen, und sei es auch nur, damit die Regierungen diese korrigieren.

Ich glaube, dass Europa in seiner jetzigen Gestalt Deutschland voll und ganz genügt. So ist zum Beispiel - eben seit etwa zehn Jahren - das Konzept der Vereinigten Staaten von Europa aus dem Wortschatz der verantwortlichen deutschen Politiker verschwunden. Die allseits besprochene Föderalismusdebatte ist verstummt. Sie wird nur noch in Frankreich geführt, während davon in Deutschland, wo der Föderalismus doch gewollt wurde, nicht mehr die Rede ist. Selbst Helmut Kohl hat dieses Thema am Ende seiner Amtszeit nicht mehr angesprochen.

Forum: Denken Sie nicht, dass es legitim ist, dass Deutschland nach einer Rolle strebt, die seiner Bedeutung in Europa und der Welt entspricht, so wie ja auch Frankreich danach strebt? Glauben Sie, dass diese Rolle für Frankreich in jedem Fall negative Folgen haben muss? Könnte Deutschland nicht eher eine stimulierende Rolle spielen?

G. Valance: Man muss sich eingestehen, dass Deutschland - in den Worten Helmut Kohls - wieder zu einer bedeutenden Macht mittlerer Grösse geworden ist. Sein besonderes Gewicht, das es heute in Europa gewonnen hat, wird notwendigerweise Folgen für die Zukunft haben. Man darf nicht glauben, dass das Europa von heute dasselbe ist wie früher. Es ist also völlig normal, dass Deutschland eine Rolle spielen möchte, die seiner Stellung in Europa und in der Welt entspricht. Demgegenüber ist es aber genauso natürlich, dass die Franzosen sich darüber Gedanken machen, wie sich diese Rolle mit der europäischen Einigung und den französischen Interessen vereinbaren lässt. Wenn Deutschland seine Interessen verteidigen darf, dann darf das Frankreich ebenfalls. Es geht dabei keineswegs darum, eine Konfrontation heraufzubeschwören. Es gilt vielmehr, sich ohne Umschweife einzugestehen, dass vielleicht Interessen bestehen, die sich auseinanderentwickeln, und über Möglichkeiten nachzudenken, wie diese wieder in Einklang gebracht werden können. Deswegen wäre es auch beunruhigend, wenn es keine europapolitischen Vorschläge und Initiativen mehr geben sollte. Wenn Europa nämlich so bleibt, wie es ist, dann besteht die Gefahr eines Ungleichgewichts und einer deutschen Dominanz. Paradoxerweise ist man heute - wenn man ein bisschen übertreiben will - in Frankreich Nationalist, wenn man mehr Europa fordert. Deshalb glaube ich, dass Charles Pasqua sich irrt, selbst wenn er die richtigen Fragen aufwerfen mag. Sich keine Fragen zu stellen, käme allerdings einer Selbsttäuschung gleich oder wäre kennzeichnend für eine mangelnde Haltung, wie sie für Menschen typisch ist, die sich in alle Veränderungen ergeben.

Als Gerhard Schröder während seines Wahlkampfes das Thema der Verteidigung der deutschen Interessen in den Vordergrund gerückt hat, war ich weniger schockiert als andere. Dagegen ist mir die Bedeutung dieses Konzepts aufgestossen. Politisch gesehen bedeutet das nämlich, diese Interessen seien vorher nicht vertreten worden. Wenn man diese Überlegung weiterverfolgt, dann bedeutet das also, dass die Bundesrepublik, als sie deutlich stärker pro-französisch und pro-europäisch ausgerichtet war, in gewisser Hinsicht nicht ihre eigenen Interessen vertrat. So würde die Bonner Republik, die uns wie ein vollkommenes Modell präsentiert wurde, zu einer Art - wie es bisweilen zu hören war - Vichy-Regime. Eine solche Behauptung ist für mich ausgesprochen befremdend, denn ich war stets davon überzeugt, dass Adenauer und Kohl grosse deutsche Patrioten waren. Ich bin schockiert und gerate ins Grübeln, wenn ich höre, wie hochrangige verantwortliche Politiker andeuten, dass sie nicht die deutschen Interessen vertreten hätten. Eine solche Haltung gibt zu verstehen, dass man, wenn man für Europa und die privilegierten Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich Position bezieht, vielleicht gar nicht einmal für die deutschen Interessen eintritt …

Forum: … aber vielleicht ging es einfach um ein innenpolitisches Argument aus Anlass eines Bundestags-wahlkampfes …

G. Valance: Das denke ich nicht. Man muss stets die Gründe hinterfragen, warum man, um zu gewinnen, auf solche Argumente zurückgreift. Es bedeutet nämlich, dass diese Argumente in der Öffentlichkeit auf ein gewisses Echo stossen, was fast noch schlimmer ist.

Forum: Böte eine verstärkte Dezentralisierung in Frankreich nicht die Möglichkeit zu einer Weiterentwicklung und einer Angleichung an die föderalistische Tendenz des europäischen Einigungsprozes-ses? In ihrem letzten Buch beschreiben Sie dieses Merkmal der europäischen Einigung, wie es von Deutschland vorgebracht wurde, als einen Streitpunkt mit Frankreich. Auf der Regierungskonferenz, die schliesslich zum Maastricht-Vertrag geführt hat, haben sich die französischen Verhandlungspartner und der damalige französische Staatspräsident für die Aufnahme einer föderalen Zielsetzung Europas in das Vertragswerk ausgesprochen. Diese Vertragsbestim-mung ist erst auf Drängen der Engländer gestrichen worden. Glauben Sie wirklich, dass Frankreich seit den Verhandlungen zum Maastricht-Vertrag seine Haltung gegenüber dieser Frage merklich verändert hat?

G. Valance: Frankreich hat eine republikanische Grundlage, der der föderale Geist fremd ist. Ich komme aus Lothringen und für mich persönlich bedeutet meine französische Staatsbürgerschaft nicht, dass ich Lothringer bin und dann erst Franzose, sondern dass ich vor allem Franzose bin. Unsere Situation ist mit der Situation in Deutschland nicht vergleichbar, wo man beispielsweise Bayer und Deutscher ist. Ich teile diese Sorge mit den französischen Souveränisten, auch wenn ich deren Schlussfolgerungen nicht teile. Könnte Frankreich noch fortbestehen, wenn sein nationaler republikanischer Zusammenhalt verloren ginge?

Forum: Trotzdem hat sich Frankreich beim europäischen Einigungsprozess nicht gegen die Aufnahme einer föderalen Zielsetzung in den Maastricht-Vertrag ausgesprochen. Angesichts dieses fehlenden Widerstandes scheint dies - anders als sie es in Ihrem letzten Buch andeuten - doch kein strittiges Thema zwischen Frankreich und Deutschland bilden zu können.

G. Valance:
Es scheint mir dennoch, dass das föderale Modell eher aus Mangel denn aus Überzeugung übernommen wird. Ein grosses Land wie Frankreich darf allerdings nicht zulassen, dass sich Europa aus Mangel eint. Zurecht wird oft darauf hingewiesen, dass die europäische Einigung etwas Besonderes darstelle. Aber deswegen muss sie ja noch nicht vage sein. Die einzige Form, wie die Eigenarten und die Sichtweise Frankreichs auf europäischer Ebene mit berücksichtigt werden können, besteht darin, diese klar darzulegen. Deshalb glaube ich auch, dass unser Land europapolitisch viel dynamischer werden muss, denn gerade Frankreich braucht in dieser Hinsicht am ehesten Klarheit. So war es ein Fehler, inhaltlich nicht auf das ausgesprochen wichtige Schäuble-Lamers-Dokument aus dem Jahr 1994 geantwortet zu haben, obwohl es einen Appell an Frankreich darstellte.

Die Franzosen, die zahlreiche europäische Initiativen angeregt haben, entwickeln zur Zeit nicht eben viele Vorschläge. Wer könnte denn Konkretes nennen, was Jacques Chirac oder Lionel Jospin vorgelegt hätten? Was Gerhard Schröder betrifft, so verhält es sich nicht anders. In bezug auf fehlende Vorschläge stehen sie sich in nichts nach. Manche Regierungspolitiker rechtfertigen diesen Umstand, indem sie auf die kürzlich erfolgte Einführung des Euro verweisen. Mag sein. Aber ich glaube nicht, dass die Denktätigkeit einfach so abbricht. Wenn sie allerdings abbricht, dann bedeutet das vielleicht, dass an einer Suche kein Interesse besteht. Auch wenn man nicht alles gleichzeitig machen kann, bin ich doch überrascht, dass so wenig diskutiert wird. Es muss dabei allerdings darauf hingewiesen werden, dass sich neue Umrisse einer Reflexion abzeichnen.

Forum: Denken Sie, dass die Öffnung der deutsch-französischen Partnerschaft gegenüber dem Vereinigten Königreich vor allem im Bereich der Verteidigungspoli-tik wirklich ein Zeichen der Schwäche der deutsch-französischen Beziehungen ist? Ist es nicht vielmehr ein Zeichen für seine Gesundheit, seine Offenheit und für - auf mancherlei Gebieten - eine Annäherung der britischen an die französischen und deutschen Vorstellungen?

G. Valance: Franzosen und Deutsche reizt in regelmässigen Abständen der Gedanke einer englischen Einbindung. Doch müssen sie jedes Mal erkennen, dass Grossbritannien den Hoffnungen, die es geweckt hatte, nicht gerecht wird. Dieses Land will einfach kein Antriebsfaktor des europäischen Einigungsprozesses werden und begnügt sich zumeist damit, sich mittreiben zu lassen.

In verteidigungspolitischer Hinsicht lässt sich beispielsweise feststellen, dass bis Anfang der 90er Jahre keine erwähnenswerte Annäherung zwischen Frankreich und Grossbritannien stattgefunden hat, obwohl dem eigentlich nichts im Wege stand: beide Staaten waren Atommächte, hatten eine internationale Interventionstradi-tion, eine Weltpolitik usw. Ihre Verteidigungsinteressen schienen verhältnismässig ähnlich gelagert. Trotzdem ist es nie dazu gekommen, weil die Engländer, nachdem sie erfolgversprechende Perspektiven in Aussicht gestellt hatten, die Sache nicht weiter verfolgten. Es ist allerdings gut möglich, dass diese Vorgehensweise eine Schwächung der deutsch-französischen Partnerschaft zur Folge haben sollte. Beide Regierungen, die französische sowohl als auch die deutsche (das gilt auch für die Regierung Schröder zu Anfang ihrer Amtszeit), haben diese Erfahrung gemacht. Letztlich sind sie sich stets über das Unfruchtbare einer solchen Initiative klar geworden und haben sich wieder einander zugewandt. Genau genommen hat die englische Haltung oftmals zu einer Intensivierung der deutsch-französischen Freundschaft beigetragen. Gleichwohl ist es richtig, dass es ohne Grossbritannien kein Europa geben kann.

Forum: Ist es denn im Grunde nicht eher so, dass ein Teil Frankreichs im Begriff ist, sich von Deutschland abzuwenden, und dass dies von einem Wiedererstarken einer anti-deutschen Stimmung begleitet wird? In Deutschland herrscht meines Wissens gegenüber Frankreich keine derart kritische Geistesrichtung. Bietet unser Land nicht auch Anlass zur Beunruhigung Deutschlands?

G. Valance: Es ist richtig, dass es in Frankreich manchmal etwas übertriebene Befürchtungen gibt. Manche, die über Deutschland sprechen, beziehen sich gedanklich auf den letzten Krieg oder auf den Nationalsozialismus. Selbstverständlich ist das nicht meine Absicht. Ich mache lediglich darauf aufmerksam, dass die europäischen Beziehungen durch eine Grossmacht ins Ungleichgewicht geraten können, wenn man kein wirkliches Europa errichtet. So kann beispielsweise - einschliesslich für die Deutschen - wieder die Versuchung entstehen, Machtverhältnisse zu nutzen. Ich glaube nicht an das Endgültige, die Völker sind Veränderungen unterworfen. Wie die Deutschen es selber zugeben, ist das Deutschland der Berliner Republik mit dem Deutschland der Bonner Republik nicht identisch. Die Verhaltensweisen entwickeln sich weiter. Ein Land, das besetzt und seiner Souveränität beraubt ist, ist nicht identisch mit demselben Land, wenn es frei ist.

Ich finde es bedauerlich, dass manche Franzosen einer Debatte über eine eventuelle Wiederkehr des Nationalsozialismus, des Krieges Nahrung geben. Das ist eine grobe Vereinfachung. Deutschland ist ein mindestens ebenso demokratisches Land wie das unsere. Demgegenüber erscheint mir die Frage nach den Macht- und Einflussbeziehungen als legitim. Ich bin der Ansicht, dass die ausschlaggebende Bedingung für eine Weiterentwicklung Europas in einem wirklichen Gleichgewicht zwischen unseren beiden Staaten liegt. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass zu starke Unstimmigkeiten nicht zu einem Klima zwischen uns führen, aus dem sich nur allzu leicht schwere Spannungen ergeben könnten, deren Konsequenzen nicht vorherzusehen sind; die Geschichte kommt niemals an ein Ende. Helmut Kohl pflegte daran zu erinnern, dass der Euro eine Frage von Krieg und Frieden in Europa sei. Ich beachte immer mit grösster Aufmerksamkeit die Semantik der Wortwahl. Auch im Schäuble-Lamers-Bericht aus dem Jahr 1994 ist auf der ersten Seite von Krieg die Rede. Es handelt sich dabei keineswegs um eine Drohung: es sind einfach verantwortungsbewusste Männer, die aus der Geschichte bestimmte Lehren gezogen haben und die wissen, wie lange im vorhinein man eventuelle Fehlentwicklung vorausahnen muss. Die Kriege, die sich vor den Grenzen Europas auf dem Boden des ehemaligen Jugoslawiens abgespielt haben, sind dafür das beste Beispiel. Man darf niemals denen Glauben schenken, die behaupten, dass es nie wieder zu einem Krieg kommen wird. Vielmehr muss man gerade darüber nachdenken, was zu tun ist, damit dies nicht geschieht. Ich interessiere mich u.a. dafür, die Anzeichen für künftige Spannungen aufzuspüren, indem ich nämlich Fragen aufwerfe und mögliche Fehlentwicklungen diognostiziere. Man muss sich voll und ganz bewusst sein, dass es immer zu spät ist, wenn es in den Machtbeziehungen zu solchen Fehlentwicklungen kommt.

Eigene Übersetzung des Forum

Veröffentlichungen

Editions Perrin

- La République de Berlin : les dix ans qui ont changé l'Allemagne… - à paraître.
- La revanche de l'Allemagne. 1989-1999 - 1999 .

Editions Flammarion
- Histoire du franc. 1360 - 2002, La légende du franc - Flammarion, 1998.
- Haussmann le grand - Flammarion, 1997 - 2000.
- Vie et mort du franc - Flammarion, 1995.
- La légende du franc de 1360 à demain - Flammarion, 1993.
- Les maîtres du monde : Allemagne, Etats-Unis, Japon - Flammarion, 1992.
- France - Allemagne - Flammarion, 1990.
- France Allemagne. Le retour de Bismarck - Flammarion, 1990.

Editions France Empire
- Affaire Haussmann - Ed. France Empire, 1997.



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