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• Regionalisierung im Vereinigten Königreich und in Europa
Durch den Einfluss der Blair-Regierung konnten die Bedingungen zugunsten einer subnationalen Mobilisierung des Vereinigten Königreichs innerhalb der EU entscheidend verändert werden. Die Einrichtung neuer, regionaler, mit Kompetenzen versehener Institutionen und das neue Klima, das die europapolitische Debatte prägt, haben positive Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Stimme der dezentralisierten, regionalen Institutionen des Vereinigten Königreichs im europäischen Integrationsprozess Gehör findet. © 2000
Prof. Charlie JEFFERY - Stellvertretender Direktor im Institut
für Deutschlandstudien, Universität Birmingham


In den 90er Jahren bestand einer der auffallenderen Züge der EU-Politik in der subnationalen "Mobilisierung" der europäischen Integration, d.h. in einer stärkeren Bindung subnationaler Regierungsakteure an die Institutionen und politische Prozesse der EU-Politik. Die Erscheinungsformen dieser Mobilisierung sind vielfältig. Reformen der Regionalpolitik der EU haben zu einer stärkeren Berücksichtigung subnationaler Belange in dem Europäischen Strukturfonds geführt. Neue interregionale Kooperationsorganisationen sind im Umfeld von EU-Programmen entstanden. Mehr als 140 subnationale Regierungen haben in Brüssel Vertretungen eingerichtet. Durch Änderungen am Vertragswerk der EU wurde bestimmten subnationalen Regierungen die Möglichkeit zur Teilnahme an dem wichtigsten Entscheidungsorgan der EU, dem Ministerrat, eröffnet, ein europäisches Regionalkomitee mit Konsultationsrechten in einer ganzen Reihe von Politikfeldern begründet und das Subsidiaritätsprinzip als allgemein akzeptierter Bestandteil der Regionalismusdebatte zur europäischen Integration eingeführt. In Teilen der EU wurden neue Koordinationsmechanismen eingeführt, um die subnationale Ebene in die Ausarbeitung der politischen Zielsetzungen mit einzubinden, welche die Zentralregierungen der Mitgliedstaaten in Brüssel vorstellen.

Vieles von dem ging natürlich spurlos an dem Vereinigten Königreich vorüber. Obgleich es einigen lokalen Verwaltungen wie Birmingham City, Kent County und Strathclyde Region gelang, sich ein angemessenes europapolitisches Profil zu geben, erwies sich eine Bindung an die EU-Politik auf subnationaler Ebene als ausgesprochen schwierig. Das liegt sowohl an einem hoch zentralisierten politischen System, das der subnationalen Ebene nur eine geringe politische Autonomie zugesteht, als auch an den langjährigen konservativen Regierungen, die schwerwiegende Bedenken gegenüber einer positiven Bindung an die europäischen politischen Prozesse hatten. Die Wahl der Labour-Regierung unter Tony Blair im Jahre 1997 stellte in beiderlei Hinsicht Veränderungen in Aussicht. Im Labour-Programm wurde eine ehrgeizige und radikale Regionalisierung versprochen, die seitdem mit dem Schottischen Parlament und den politischen Vertretungen in Nordirland und Wales sowie mit der Greater London Authority und der Einrichtung von Regionalentwicklungsbehörden in den Regionen Englands Gestalt angenommen hat. Gleichzeitig legte Labour ein Programm des "konstruktiven Engagements" in der Europäischen Union vor; das bedeutet eine neue Verpflichtung zu positiver Kooperation mit den europäischen Partnern des Vereinigten Königreichs und einen Anspruch auf eine führende Rolle in der EU neben dem traditionellen "Motor" der Integration, der deutsch-französischen Achse.

Der Einfluss der Regierung Blair hat somit also die Grundvoraussetzungen für eine subnationale Mobilisierung des Vereinigten Königreichs innerhalb der EU radikal neu definiert. Neue subnationale Institutionen wurden ins Leben gerufen und mit Kompetenzen ausgestattet, deren politische Autonomie allerdings unterschiedlich weit reicht - Schottland verfügt über die grösste, die englischen Regionen über die geringste Autonomie -, und durch ein neuartiges Klima in bezug auf die politische Europadebatte hat sich für die regionalen Institutionen im Vereinigten Königreich eine günstige Gelegenheit ergeben, ihrer Stimme im europäischen Integrationsprozess Gehör zu verschaffen. Tatsächlich hatte man schon frühzeitig die Notwendigkeit erkannt, dass die neu entstandenen Regionalparlamente ein Mitspracherecht in Europa haben sollten. In der Gesetzesvorlage der Regierung bezüglich der politischen Versammlung von Wales war man beispielsweise darüber übereingekommen: "Wales braucht eine starke Stimme in Europa. Die Aussenpolitik - einschliesslich in Politikfeldern, die sich aus der EU-Mitgliedschaft ergeben - werden auch in Zukunft in den Kompetenzbereich der Regierung des Vereinigten Königreichs fallen, das weiterhin dafür Sorge zu tragen hat, dass das Vereinigte Königreich seinen Verpflichtungen nachkommt und seinen Rechten Geltung verschafft. Europäische Belange haben aber auch Einfluss auf vielfältige Bereiche der Innenpolitik, für welche die Versammlung die Verantwortung trägt. Dies bedeutet, dass die Versammlung möglichst eng bei der Ausarbeitung der europapolitischen Positionen des Vereinigten Königreichs mit einbezogen werden muss." (Cm 3718, 1997, pp. 21-3).

Wie dies in der Praxis umgesetzt werden soll, ist noch nicht ganz klar, da einige der abschliessenden institutionellen Detailfragen der Vereinbarung zum regionalen Kompetenztransfert noch ausstehen. Klar ist allerdings, dass das Vereinigte Königreich sich dem in Europa vorherrschenden Regionalismustrend annähert. Zumindest haben die Regionalinstitutionen in Schottland, Wales und Nordirland (die regionale Stärkung Englands zielt in abgeschwächter Form zunächst auf die regionale Wirtschaftsentwicklung) die Verantwortung für die EU-Regionalpolitik in ihrem Gebiet übernommen. Jetzt können sie ihre eigenen Vertreter in das Regionalkomitee entsenden, sie können neben der Ständigen Vertretung des Vereinigten Königreichs offizielle Vertretungen in Brüssel als ein Mittel der Kommunikation und der Interessenvertretung führen. Neu eingerichtete Gesetzesausschüsse bieten ein Forum zur Diskussion und Analyse von europapolitischen Problemfeldern.

Eine genauere Vorstellung von der Art und Weise, wie die Zentralregierung des Vereinigten Königreichs und die Regionaleinrichtungen ihre EU-Politik aufeinander abstimmen und eine gemeinsame Position für das Vereinigte Königreich erarbeiten werden, bekam man Ende 1999 mit der Veröffentlichung der "Concordats" für Europa, in denen dargelegt wurde, wie die neu geschaffenen Institutionen in Schottland, Wales und Nordirland bei europäischen Fragestellungen zusammenarbeiten werden. Darin wird das volle Informations- und Konsultationsrecht garantiert und dargelegt, wie die Positionen sowohl auf innenpolitischer Ebene als auch in den EU-Einrichtungen aufeinander abgestimmt werden. Was die innenpolitische Ebene betrifft, so wurde im Aussenministerium des Vereinigten Königreichs ein Regionalverwaltungsdepartement zur Organisation von routinemässigen Koordinierungstreffen eingerichtet, während ein Vereinter Ministerrat, an dem die Zentralregierung und regionale Europaminister teilhaben, als Instrument zum Ausgleich von Unstimmigkeiten dient. Auf EU-Ebene bietet sich die Aussicht auf eine subnationale Beteiligung an den Verhandlungen in den Arbeitsgruppen des Rates und der Kommission, ja sogar im Ministerrat selbst. Joyce Quin, der damalige Europaminister des Vereinigten Königreichs, sprach im Februar 1999 davon, dass "zur Erreichung der bestmöglichen Ergebnisse" für das Vereinigte Königreich als Ganzes "besonderer Wert auf Mannschaftsarbeit gelegt" werde.

Soweit handelt es sich also um eine erfrischend offene Haltung zu Fragen der zentralen und subnationalen Koordination in europapolitischen Belangen mit der frühzeitig gewonnenen Einsicht, dass eine positive Koordination notwendig ist und im breiteren nationalen Interesse liege. Es scheint, als haben die politischen Entscheidungsträger des Vereinigten Königreichs von den oft langwierigen und entzweienden Auseinandersetz-ungen gelernt, wie sie auf subnationaler Ebene in anderen EU-Mitgliedsstaaten - vor allem in Deutschland und Spanien - zur Erlangung einer qualitativ privilegierten, ausserhalb des Zentralstaates verlaufenden Beteiligung an den Entscheidungsfindungsprozessen in der EU geführt werden. Gleichwohl bleibt noch unklar, ob diese erfrischend offene Haltung beibehalten werden kann, zumindest solange diese neue Praxis der Koordination der EU-Politik nicht wirklich getestet worden ist. Europapolitische Angelegenheiten sind Veränderungen unterworfen und können in den unterschiedlichen Teilen des Vereinigten Königreichs - z.B. bei Rindfleisch, Fischerei, Strukturfonds - teilweise zumindest widersprüchlich sein. Die Regionalisierungsvereinbarung als Ganzes wurde noch von keinem politischen Konflikt zwischen Zentrum und Regionalparlamenten oder zwischen diesen selbst auf die Probe gestellt. Erst wenn wir einen solchen Konflikt und dessen Lösung beobachten können, wird deutlich werden, inwieweit eine Veränderung der Mentalitäten zentralistischer Politik, die das Vereinigte Königreich so lange geprägt hat, mit den neu geschaffenen Strukturen einer dezentralisierten Regierung Schritt halten kann.

Eigene Übersetzung des Forum

Veröffentlichungen

- Vereinigtes Königreich, in Rudolf Hrbek (ed.), Jahrbuch des Föderalismus 1999, Baden-Baden, Nomos, 2000.
- Sub-National Mobilisation and European Integration: Does it Make any Difference?, Journal of Common Market Studies, Vol. 38, No. 1, 2000.
- The Regional Dimension of the European Union (ed.), London, Frank Cass, 1997.
- Regional Information Offices in Brussels and Multi-Level Governance in the EU: A UK-German Comparison, Regional and Federal Studies, Vol. 6, No. 3, 1996.



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