Joseph Rovan ist auch Präsident des BILD und Direktor der Zeitschrift
"Dokumente" (F).
Die innenpolitischen
Schwierigkeiten unserer beiden Länder und vor allem Deutschlands
haben vielleicht den Eindruck erweckt, dass unsere Beziehungen an
Intensität nachgelassen und dass sich die gemeinsamen Bemühungen
im Dienste der Europäischen Union verlangsamt haben. Dieser Eindruck
ist richtig und doch auch wieder nicht. Er lässt sich grösstenteils
auf die Veränderungen an der politischen Spitze zurückführen (Ablösung
Helmut Kohls durch Gerhard Schröder, Rücktritt Oskar Lafontaines
und auch Dominique Strauss-Kahns). Er hat gleichfalls damit zu tun,
dass sich in Frankreich eine starke, politische, nationalstaatliche
Anti-Europa-Bewegung - die sog. "souverainistes" - herausgebildet
hat, die in Ostdeutschland - bei gleichzeitigen Verlusten der SPD
bei allen Landtagswahlen - in der Stärkung der neokommunistischen
PDS, deren Europa-Begeisterung sich ja bekanntlich in Grenzen hält,
ein Echo findet. Andererseits zeigt die Beteiligung unserer beiden
Staaten an und auch nach den Militäroperationen im Kosovo, wie unausweichlich
das gemeinsame Engagement Frankreichs und Deutschlands in jenen
Politikfeldern ist, in denen sich allmählich der Einfluss des erfahrenen
spanischen Politikers und verantwortlichen Mannes für Fragen der
GASP, bemerkbar machen wird, bei dessen Ernennung wir eng kooperiert
haben. Gleiches gilt auch für die neuen Initiativen in den Problemfeldern
Einwanderung, Bekämpfung der Kriminalität und in gewisser Hinsicht
auch für die legislative und institutionelle Vereinheitlichung im
Bereich der Justiz. Unsere beiden Länder haben parallel zueinander
und gemeinsam eine neue Linie unterstützt, die das Europäische Parlament
an der Bestellung der Kommission eng teilhaben lässt. Das ist zwar
nicht gerade revolutionär, aber all diese Entscheidungen und Massnahmen
bilden doch einen spürbaren Fortschritt für den europäischen Einigungsprozess
und wären bei einer Oppositionshaltung Frankreichs und Deutschlands
in diesen Bereichen gar nicht zustande gekommen.
Es wird gerade ein neuer Versuch unternommen, die europäischen Institutionen
zu reformieren und sie funktioneller und operationeller zu gestalten.
Alle Regierungen wissen, dass die den Ländern Mittel- und Osteuropas
in Aussicht gestellte Erweiterung nur dann denkbar ist, wenn diese
Reformen im Vorfeld beschlossen und umgesetzt worden sind. Das setzt
allerdings offenkundig - und trotz des Protests von Charles Pasqua
und seinen Weggenossen der RPF (Rassemblement pour la France) -
voraus, dass hinsichtlich der Übertragung weiterer Bestandteile
der Nationalstaatlichkeit der Unionsstaaten spürbare Fortschritte
erzielt werden. Bei der eigentlichen Erweiterung wird es sicherlich
notwendig sein, in dem Zeitplan die im engeren Sinne politischen
Elemente von den ökonomisch-sozialen Aspekten zu trennen, wo die
Fortschritte zwangsläufig langsamer vonstatten gehen werden. Es
ist gleichfalls unerlässlich, die Zahl der für eine Erweiterung
in Frage kommenden Staaten einen relativ langen Zeitraum über begrenzt
zu halten.
Auf all diesen Gebieten müssen Frankreich und Deutschland mehr denn
je gemeinsam vorgehen und an keinen Konferenzen und Arbeitstreffen
teilnehmen, ohne sich im Vorfeld über die Ziele und die Mittel ihres
Handelns verständigt zu haben. Sie müssen es vermeiden, dass andere
Mitgliedsstaaten Zeuge eventueller, noch nicht geglätteter Divergenzen
werden. Deswegen sollten die beiden Regierungen zügig ein gemeinsames
Generalsekretariat zur Vorbereitung der Sitzungen der beiden Kabinette
einrichten. Bald darauf werden die beiden Regierungen gemeinsame
Sitzungen organisieren, vor allem zur Vorbereitung der Europakonferenzen
und des Tätigwerdens der europäischen Institutionen. Nach und nach
sollte es in bestimmten Fällen, wie z.B. im Rat der Vereinten Nationen,
Usus werden, dass ein einziger Minister bzw. Botschafter beide Länder
vertritt. Diese Fortschritte werden sich gegenüber der USA, Chinas
und Russlands als unausweichlich erweisen. Es ist dabei allerdings
von Bedeutung, durch den Widerstand der "Souveränisten" oder die
Entscheidungsschwäche der Föderalisten entstehende Zeitverluste
zu vermeiden. Nur ein "starkes und grosszügiges Europa" wird den
Worten Jacques Delors' zufolge ein Gegengewicht zu den Grossmächten
bilden können und vor allem auch auf die Entwicklung der Beziehungen
innerhalb der NATO und der OSZE einen positiven Einfluss haben.
Ein möglicher Erfolg der "Souveränisten" würde demgegenüber die
einzelnen europäischen Staaten unvermeidlich der Domination durch
die Vereinigten Staaten ausliefern.
Eigene Übersetzung des Forum
Veröffentlichungen
- "Mémoire d'un Français qui se souvient d'avoir
été Allemand" - Ed. Seuil, 1999.
- "Bismarck, l'Allemagne, et l'Europe unie - 1898 - 1998 - 2098"
- Ed. Odile Jacob, oct. 1998.
- "L'histoire de l'Allemagne des origines à nos jours" -
Ed. du Seuil, 1994.
- " Citoyens d'Europe" - Ed. Robert
Laffont, 1992.
- "Le Mur et le Golfe" - Ed. de
Fallois, 1991.
- "Les comptes de Dachau" - Ed.
Julliard 1987, rééd. le Seuil 1993.
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