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• Die Herausforderungen der Europäischen Union für das Jahr 2000
Zwei Herausforderungen hat sich die EU im Zusammenhang mit der Jahrtausendwende zu stellen. Innenpolitisch gilt es mittels einer Verankerung Europas im Alltag die Union bürgernäher zu gestalten und eine Reform der europäischen Institutionen anzustrengen, um den Prozess der Osterweiterung wirksam einzuleiten. In außenpolitischer Hinsicht müssen die Beziehungen zu unseren Partnern - sowohl zu den Entwicklungs- und als auch zu den Industrieländern - neu definiert und organisiert werden. © 2000
Nicole FONTAINE - Präsidentin des Europäischen Parlaments


Ich freue mich über die Initiative des Deutsch-Französischen Forums, den Herausforderungen des Jahres 2000 eine Sondernummer zu widmen, und will diesbezüglich gerne versuchen, den Standpunkt des Europäischen Parlaments darzulegen. Vor allem aber möchte ich betonen, wie glücklich ich war, an den Veranstaltungen anlässlich des 10. Jahrestages des Mauerfalls und der deutschen Wiedervereinigung am 9. November in Berlin teilzunehmen. Meine Teilnahme war mir besonders deswegen wichtig, weil dadurch die europäische Dimension dieser Wiedervereinigung betont wurde. Die Jugendlichen, zu denen ich gesprochen habe, sind die Zukunft des wiedervereinigten Europas. Wir, die Verantwortlichen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, müssen sie davon überzeugen, sich an der Weiterentwicklung der Europäischen Union im 21. Jahrhundert zu beteiligen.

Die Europäische Union ist im Jahre 2000 in zweifacher Hinsicht mit Herausforderungen konfrontiert. Hinsichtlich der inneren Angelegenheiten müssen wir Europa seinen Bürgern näherbringen, indem wir dem "europäischen Alltag" Konturen geben und indem wir die europäischen Institutionen reformieren, um die Osterweiterung der Union effizient gestalten zu können. Darüber hinaus müssen wir hinsichtlich ihrer Aussenbeziehungen das Verhältnis zu unseren Partnern neu definieren und gestalten, unabhängig davon, ob es sich um Entwicklungsländer oder Industrieländer handelt.

Wenn wir wollen, dass unsere Mitbürger ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Union entwickeln, dann müssen wir beim europäischen Alltag ansetzen. Sie können darauf vertrauen, dass das Europäische Parlament die Mitentscheidungsbefugnis, die es gemeinsam mit dem Ministerrat innehat, bestmöglich nutzen wird, damit die EU in dieser Hinsicht tätig wird.

Ich denke hier insbesondere an die Notwendigkeit einer echten Politik im Bereich der Gesundheit und der Nahrungsmittelsicherheit, an eine Politik des Umweltschutzes, die die Interessen der Verbraucher mit jenen der Erzeuger vereinbart, an eine Sozialpolitik, die dem Dialog zwischen den Sozialpartnern grösste Bedeutung beimisst, und an eine Bildungspolitik, die es allen unseren Jugendlichen ermöglicht, sich als Europäer zu fühlen.

Sodann denke ich an die Reform der Institutionen, die eine Vorbedingung für jede neue Erweiterung ist. Wie Sie wissen, wurde kurz vor der Tagung des Europäischen Rates in Helsinki am 10. und 11. Dezember 1999 eine Regierungskonferenz eröffnet. Das Europäische Parlament hat auf sein Recht auf eine enge Beteiligung gepocht, weil es davon überzeugt ist, dass die Union ihren Entscheidungsprozess reformieren muss, wenn sie ihre Ziele erreichen will. Wenn man bedenkt, dass dieser Prozess, insbesondere auf der Ebene des Ministerrates, seit der Entstehung der Europäischen Gemeinschaften, also eines Europa mit sechs Mitgliedstaaten, im Grunde immer unverändert geblieben ist, kann man unmöglich das Gegenteil behaupten. Nun zeichnet sich am Horizont eine Europäische Union mit mindestens 27 Mitgliedern ab… Die Mitgliedstaaten dürfen nicht vergessen, dass es keine Erweiterung geben wird, wenn das Europäische Parlament nicht grünes Licht dazu gibt.

Durch diese Reform muss Europa auch für seine Bürger verständlich werden. Dies erfordert eine Vereinfachung der Verträge. Ich persönlich glaube, dass auf der Regierungskonferenz eine Idee gründlich geprüft werden sollte, die von Herrn Jean-Luc Dehaene und den beiden anderen "Weisen" angeregt wurde, die den Bericht an Herrn Prodi ausgearbeitet haben. Sie schlagen darin vor, die Autorität des Präsidenten der Europäischen Kommission zu stärken und die Verträge in zwei Teile zu gliedern, einen konstitutionellen und einen operationellen Teil, wobei der letztere flexibler gehandhabt werden könnte. Dieser Ansatz geht auf unser Anliegen der "Verständlichkeit der Tätigkeit der EU" zurück.

Schliesslich denke ich an die konkrete Umsetzung des Raumes der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts, für den der Europäische Rat von Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 den Startschuss gegeben hat. Damit wurde zwar ein entsprechender Prozess in Gang gesetzt, aber jetzt müssen Taten folgen. Das EP wird den nötigen Druck auf den Ministerrat ausüben, damit dieser schnell handelt. Dabei wird es einerseits auf die Fristen hinweisen, die sich der Europäische Rat selbst gesetzt hat, und andererseits auf die Fortschrittsberichte zurückgreifen, die die Kommission regelmässig vorlegen muss. Diesbezüglich wird sich das Parlament stets bewusst bleiben, dass alle Aspekte dieses Raums direkte Auswirkungen auf den Alltag unserer Mitbürger haben. Insbesondere handelt es sich hier auch um den Rechtsraum, der sich in einem Justizsystem niederschlagen muss, das für alle Bürger unabhängig davon, in welchem Staat sie ihren Wohnsitz haben, leicht zugänglich sein sollte; ausserdem geht es um die Beschleunigung der Verfahren zur gegenseitigen Anerkennung von Urteilen, um die Bekämpfung der Kriminalität und insbesondere der Geldwäsche und des Drogenhandels, um die Umsetzung einer Zuwanderungspolitik auf der Grundlage der gerechten Behandlung der Staatsbürger von Drittländern, die ihren legalen Wohnsitz in den Mitgliedstaaten haben, und um die Bekämpfung der illegalen Einwanderung, wobei eine Vermischung zwischen illegalen Einwanderern einerseits und Asylbewerbern andererseits zu vermeiden ist.

International muss die Europäische Union ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, eine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik umzusetzen, die diesen Namen verdient. Sie konnte leider nicht rechtzeitig auf das Drama in Bosnien reagieren. Andererseits konnten die 15 Mitgliedstaaten erstmals in ihrer Geschichte einmütig auf den Ausbruch von Gewalt und Hass im Kosovo reagieren. Die Vorrangstellung der Vereinigten Staaten ist zwar nicht zu leugnen, ich bin jedoch davon überzeugt, dass jedermann in einigen Jahren sagen wird, dass die politische Union Europas im Kosovo geboren wurde. Das konnte ich anlässlich meines Besuchs in Pristina und Mitrovica am 20. und 21. September 1999 feststellen, bei dem mir bewusst wurde, wie sehr die Bevölkerung erwartet, dass die Union sie auf dem Weg zum Frieden und zum Wiederaufbau unterstützt. Es bleibt dahingestellt, ob die EU ihren Beitrag zur Aussöhnung leisten kann. Die Herzen bluten noch, und es wird ein langer Weg. Die Erhaltung eines multiethnischen Kosovo war jedoch gerade der Grund für das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft.

Es gibt keine Aussen- und Sicherheitspolitik ohne gemeinsame Rüstungspolitik. In diesem Zusammenhang glaube ich, dass die jüngsten deutsch-französischen Zusammenschlüsse im Bereich der Rüstungsindustrie beispielhaften Charakter haben. Was das Europäische Parlament angeht, so wird es in diesem Bereich sehr eng mit "Mr. GASP" zusammenarbeiten, der bereits am 17. November 1999 eine Rede vor dem Plenum gehalten und sich dazu verpflichtet hat, enge Beziehungen zu unserer Institution zu unterhalten. Hier fehlte der Union eine Stimme und ein Gesicht, die wir nun mit Javier Solana gefunden haben. Er kann auf unsere Unterstützung zählen.

Schliesslich muss es uns gelingen, die im Rahmen der Welthandelsorganisation geltenden Vorschriften neu zu definieren, was beweist, wie stark unsere Innen- und Aussenpolitik miteinander verknüpft sind. Alles deutet nämlich darauf hin, dass sich die Öffentlichkeit zunehmend der Ungleichgewichte bewusst wird, die eine schlecht gesteuerte Globalisierung schaffen kann. Es reicht nicht, Handelsfragen zu besprechen, sondern es ist auch zu gewährleisten, dass die Liberalisierung keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit unserer Mitbürger hat, und vor allem, dass dadurch ihre Gesellschaftsmodelle nicht in Frage gestellt werden.



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