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• Die Erweiterung der Europäischen Union und die Sicherheitsfrage
Natürlich könnte die Erweiterung der EU auf die Länder Mittel- und Osteuropas einen positiven Einfluss auf die europäische Sicherheit haben. Dadurch könnte nicht nur der Wohlstand aller gesteigert, sondern auch die Einrichtung ökonomischer, gesellschaftlicher, kultureller und politischer Beziehungen begünstigt werden, die die Grundlage eines gemeinsamen, dauerhaft im Alltag verankerten Lebens bilden. © 1999
Catherine LALUMIERE - Mitglied des Europäischen Parlaments


Seit dem Fall der Mauer hat sich das Verständnis von Sicherheit stark gewandelt. Sicherheit ist zu einem facettenreichen Begriff geworden. Während der Kalte Krieg noch die militärische Bipolarität als Ausdruck des Kräfteverhältnisses in der Welt begründet hat, hat heute die Sicherheitsfrage ganz andere Dimensionen gewonnen. Eine harmonische wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den verschiedenen Regionen unseres Planeten, die Eindämmung der Einwanderungsströme, die Bewahrung der Umwelt und die Achtung des ökologischen Gleichgewichts sind zu Bestandteilen dieses neuen Sicherheitskonzepts geworden, dessen Konturen weniger scharf umrissen sind und das auch schwieriger zu handhaben ist.

"Das Gleichgewicht des Schreckens", das während des Kalten Krieges noch bestimmend war, ist von zahlreichen Konflikten "niedriger Intensität" abgelöst worden, die sehr unterschiedliche Ursachen haben, und es hat auch hinsichtlich einer Verbreitung von Atomwaffen, drohender ethnischer und religiöser Konflikte, Terrorismus und der international organisierten Kriminalität das Gefahrenpotential erhöht.

In dieser Hinsicht ist es offensichtlich, dass die Erweiterung der Europäischen Union zu den mittel- und osteuropäischen Ländern hin einen positiven Einfluss auf die Sicherheit in Europa haben könnte.

- Wenn die MOE-Staaten an die Fünfzehnergemeinschaft - eines der weltweit demokratischsten, am besten integrierten und wohlhabendsten Regionalgefüge - angebunden werden, werden die jungen Demokratien im Osten ihr Wirtschafts- und Sozialniveau im Laufe der nächsten Jahren verbessern. Ein in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht reicheres Osteuropa, das den Menschenrechten und den Minderheiten mit grösserer Achtung begegnet, wird für ganz Europa einen Stabilitätsfaktor darstellen.

- Durch die Erweiterung dürfte eine gedankliche Öffnung begünstigt werden. Die uneingeschränkte Bewegungsmöglichkeit von Menschen zwischen den MOE-Staaten nach deren Beitritt und den Ländern der Europäischen Union fördert den Austausch, die Kooperation, die Kommunikation und damit letztlich das Vertrauen zwischen den Bürgern in Europa. Dadurch können alte Wunden besser verheilen (so wie es beispielsweise zwischen Deutschland und Frankreich der Fall war).

- Eine erfolgreiche Osterweiterung könnte einen positiven Einfluss auf die Länder haben, die an den Aussengrenzen der so erweiterten Union liegen (Russland, Ukraine, Weissrussland, Türkei). Die politische und wirtschaftliche Konsolidierung der MOE-Staaten könnte als politisches Modell wirken; die MOE-Staaten könnten sich für die Länder der GUS und Transkaukasiens zu einem wirtschaftlichen Anziehungspunkt entwickeln. Mittelfristig könnte somit also eine wirtschaftliche Entwicklung der MOE-Staaten zum wirtschaftlichen take-off der Nachbarländer Anstoss geben, die von dem Handel und den Investitionen aus den Ländern mit starkem Wirtschaftswachstum profitieren könnten.

- Selbst wenn es östlich des Bugs - der Grenze zwischen Polen auf der einen und Russland und Weissrussland auf der anderen Seite - zu einem Szenario politischer Instabilität kommen sollte, so würde doch ein geeintes Europa besser mit den daraus entstehenden Risiken und Gefahren fertig werden.

- Der Beitritt zur Europäischen Union wird auf der innerstaatlichen Ebene der MOE-Staaten sicherlich eine stabilisierende Wirkung haben, würde er doch die Konsolidierung der Demokratie und der Bedeutung der Zivilgesellschaft stärken, vor allem auch der Mittelschicht, die bisher noch sehr schwach ist.

- Die Anhebung des Lebensstandards der Bürger in den Bewerberländern im Osten würde gleichfalls einen mächtigen Hebel zur Abschwächung, ja zur Lösung der Minderheitenkonflikte darstellen. Die vor kurzem gemachte Erfahrung mit dem Friedensprozess in Irland lehrt, wie sehr der wirtschaftliche Aufholprozess in einem Land oder in einer Region den Frieden und die Aussöhnung zwischen den Völkern begünstigen kann. Diesbezüglich hat sich der "Ankündigungseffekt" durch die Bekanntgabe der Osterweiterung der Europäischen Union dahingehend als wirksam erwiesen, als er einige östliche Staaten auf den Weg zur Verständigung mit ihren Nachbarn geführt hat (Ungarn/Rumänien - Ungarn/Slowakei)

Im übrigen muss daran erinnert werden, dass die Europäische Union für einen Beitritt die Lösung bilateraler Zwistigkeiten und die Anrufung des Internationalen Gerichtshofs als Vorbedingung stellt. Dadurch werden die Beitrittskandidaten zur Suche nach einer schnellen Lösung veranlasst, falls eine solche noch nicht gefunden ist. Nach dem Beitritt steht zu hoffen, dass die potentiellen Streitfälle, die heute noch Nachbarländer entzweien, mittels einem bekannten und in der Europäischen Union bewährten Instrumentarium und einer Praxis der Konzertierung mit grösster Wahrscheinlichkeit gelöst werden können. Die Erweiterung kann somit also zu einer Lehre für Kompromissfindung und Toleranz werden.

- Und schliesslich ist es offensichtlich, dass die Bewahrung der Umwelt und der Kampf gegen die organisierte Kriminalität über die tatsächlichen Möglichkeiten der Nationalstaaten hinausgehen. Dies sind gesellschaftliche Phänomene, die sich nicht um Grenzen scheren. Europa ist - nicht ohne Schwierigkeiten - im Begriff, eine gemeinsame Umweltpolitik aufzubauen. Zu einer effizienten Gewährleistung der persönlichen Sicherheit der europäischen Bürger in allen Lebensbereichen möchte man auch einen gemeinsamen Rechts- und Strafverfolgungsraum einrichten. Ein koordinierter rechtlicher Ansatz bei der Behandlung von Bürgern aus Drittstaaten erweist sich für eine Kontrolle der Einwanderungsströme als unabdingbar.

- Bleibt die militärische Komponente der Sicherheitsfrage in Europa. Zwar fällt die Verteidigung auch weiterhin in einen im wesentlichen nationalen Kompetenzbereich, andererseits ist es aber nichtsdestotrotz das im Amsterdamer Vertrag festgehaltene Ziel, langfristig eine gemeinsame Verteidigungspolitik zu "definieren" und dazu die Strukturen der WEU in der Europäischen Union aufgehen zu lassen. Die vor kurzem erfolgte französisch-britische Erklärung von Saint-Malo zur europäischen Verteidigung zeichnet neue Perspektiven, welche die schon vor langem begonnenen Bemühungen um eine europäische Verteidigungspolitik zu einem erfolgreichen Abschluss führen könnten. Mit der Anerkennung der Errungenschaften der Gemeinschaft in den Bereichen der GASP- und der Verteidigungspolitik werden die künftigen Mitgliedstaaten sich diese politischen Ziele zu eigen machen, und so können sie selbst zur Stärkung ihrer Verteidigungsfähigkeit und damit auch zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Europäischen Union im Ganzen beitragen.

Der wirtschaftliche Erfolg der Erweiterung ist eine zentrale Vorbedingung dafür, dass der von den Bewerberstaaten zu erbringende finanzielle Aufwand für die Modernisierung ihrer Streitkräfte (eine für den Beitritt zur NATO notwendige Modernisierung) die nationalen Haushalte nicht allzu sehr belastet.

* * *

Wenn die Sicherheit in Europa sich folglich aus der Kombination von zwei Erweiterungsprozessen einerseits der NATO, andererseits der EU ergibt, dann ist es wohl offensichtlich, dass vor allem letzterer dem Kontinent am ehesten zu einer tatsächlichen politischen Stabilität verhelfen kann.

Die Erweiterung der Europäischen Union ermöglicht nicht allein eine Erhöhung des Wohlstands aller Beteiligten, sondern sie fördert auch die Herausbildung von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Bindungen, welche die Basis für ein tägliches und dauerhaftes gemeinschaftliches Leben sind.

Diese grossartige Annäherungs- und Integrationsbewegung muss so erfolgen, dass eine Gefahr, die nicht vergessen werden darf, vermieden wird: die Gefahr, eine neue Barriere zwischen der so erweiterten Europäischen Union und den nicht dazu gehörenden Ländern, z.B. Russland, zu errichten. Eine erfolgreiche Erweiterung der Union nach Mittel- und Osteuropa ist gut für die Sicherheit, unter der Bedingung, es wird dafür Sorge getragen, dass - im Osten genauso wie im Mittelmeerraum - möglichst feste partnerschaftliche Bindungen zu den Nachbarländern entstehen. Sicherheit ist nur durch eine Öffnung anderen gegenüber von Dauer.

Eigene Übersetzung des Forum



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