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• Deutschlands Präsidentschaft der WEU : Am Scheideweg
Europa wird die Herausforderung des 20. Jahrhunderts nur dann annehmen können, wenn es mit einer Stimme spricht. Es muss somit also eine klare außenpolitische Zielsetzung haben und seine Interessen zu verteidigen verstehen. Genau genommen braucht Europa eine echte Außen- und Sicherheitspolitik. Nur eine Union, die sich für ihre Interessen auch stark zu machen versteht, wird die inneren Krisen meistern können. Die Versammlung der WEU wird jeden verteidigungspolitischen Fortschritt gutheißen, d.h. jede Entscheidung, die ein Schritt in Richtung auf ein mehr an Europa und eine größere Sicherheitsgarantie in Europa bedeutet. © 1999
Lluis Maria de PUIG - Vorsitzender der Versammlung der WEU (1999)


Deutschland hat die Verantwortung für die Präsidentschaft der WEU und der Europäischen Union inne: Das ist das erste Mal, das es zu einer solchen zufälligen Fügung kommt. Während dieser Präsidentschaft wünscht Deutschland, wie sich kürzlich der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Verheugen, vor unserer zur Plenarsitzung zusammengekommenen Versammlung äusserte, die Diskussion über die europäische Identität in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen voranzutreiben, und das zu einem Zeitpunkt, wo die Debatte besonders hitzig geführt wird.

Das Instrumentarium der Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts zur Friedens- und Stabilitätssicherung ist veraltet: Das lässt sich in Ex-Jugoslawien konstatieren, wo das Integrationskonzept und das Konzept des Nationalismus aus dem vergangenen Jahrhundert aufeinander prallen. Stabilität kann nicht länger mittels des Spiels eines prekären Mächtegleichgewichts erzielt werden; dagegen bieten Kooperation und Bündnisse die wirkungsvollsten Garantien gegen eine Wiederkehr des Chauvinismus.

Europa wird es nur gelingen, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, wenn es mit einer Stimme spricht; es muss somit also klare Zielvorstellungen in aussenpolitischen Fragen haben und seine Interessen zu vertreten verstehen. De facto braucht Europa eine wirkliche Aussenpolitik und eine wirkliche Sicherheitspolitik; nur eine Union, die ihre Interessen zu verteidigen versteht, wird mit ihren inneren Krisen fertig werden können. In diesem Bewusstsein sollte sie das ausgesprochen wichtige Treffen bei dem NATO-Gipfel in Washington angehen.

Die NATO gewährleistet die Sicherheit Europas heute und in Zukunft. Die transatlantische Partnerschaft ist grundlegend für die Sicherung eines dauerhaften Friedens auf dem Kontinent. Der Gipfel zum 50jährigen Bestehen im April von ist dem Beitritt Polens, der Tschechischen Republik und Ungarns bestimmt worden, und so wird das Europa der Blöcke endgültig zu Ende gehen. Dieser Gipfel bietet der Allianz auch die Möglichkeit, ihre Vitalität und ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Das Ziel des neuen Strategiekonzepts besteht darin, zu einer kollektiven Verteidigung und gemeinsamen transatlantischen Willenserklärung zu gelangen. Die NATO wird in enger Zusammenarbeit mit allen Ländern Europas neue Aufgaben annehmen müssen, vor allem im Rahmen der Konfliktvorbeugung, des Krisenmanagements und der Rüstungskontrolle.

In diesem Bewusstsein ist unsere Versammlung im März zusammengetreten, einen Monat vor dem Washingtoner Gipfel, um die Regierungen der Länder der WEU von unserer Ansicht hinsichtlich der Zukunft der europäischen Verteidigung in Kenntnis zu setzen. So mancher meint, dass die WEU in der Europäischen Union aufgehen solle. Ich persönlich könnte mich - das ist eine persönliche politische Meinung - mit einem Integrationsprozess in die Europäische Union anfreunden. Wichtig ist aber, dass darüber diskutiert wird und dass man sieht, welches die angemessensten Formen sind, die auf einen wahren Konsens stossen würden, und auch welches die Möglichkeiten der verschiedenen Optionen sind, die zwar von der Presse angeführt werden, die aber noch keine konkreten Vorschläge darstellen.

Bei der WEU handelt es sich um einen bedeutenden Gewinn, der sich nicht von dem einen Tag auf den anderen auslöschen lässt. So muss bei all den Debatten wieder daran erinnert werden, dass sie gewisse Vorzüge bietet, dass sie vor allem auch über militärische Kapazitäten verfügt, die ihr die Durchführung von sogenannten Petersberg-Missionen ermöglichen, die sowohl humanitäre Hilfe als auch Prävention und friedenschaffende Massnahmen umfassen, ja sogar Kampfhandlungen, und auch daran erinnern, dass sie 28 Länder vereinigt, die unterschiedliche Status geniessen. Ich glaube nicht, dass sich eine Verdichtung der europäischen Verteidigung mit dem Zentrum Europäische Union in Betracht ziehen lässt, ohne der Tatsache Rechnung zu tragen, dass mehrere mittel- und osteuropäische Länder dank unserer Institution an einer Organisierung europäischer Verteidigung teilhaben. Es darf auch daran erinnert werden, dass die WEU nach dem Amsterdamer Vertrag ohne weiteres im Auftrag der Europäischen Union Einsätze führen kann und dass, wenn die Kooperationsmechanismen mit der NATO zu einem Ergebnis führen, die WEU auf deren Kapazitäten zurückgreifen kann. Es darf auch nicht übersehen werden, dass die WEU ausserhalb des Gebiets einsatzbereit ist und dass sie als einzige Institution in diesem Bereich die Politik für Rüstungsfragen in Europa koordiniert. Und schliesslich ist auch daran zu erinnern, dass die WEU unter demokratischer Kontrolle unserer Versammlung - in Verbindung mit den Landesparlamenten - tätig wird, dass im Laufe der letzten Jahre dem operationellen Instrumentarium nachhaltige Investitionen zugeflossen sind, dass sie über ein strategisches Militärpotential verfügt, dass sie mit einem Bein in der EU und mit dem anderen in der NATO steht, wodurch sie indirekt die beiden Institutionen miteinander verbindet, und dass sie ausserdem enge Verbindungen zu Russland und der Ukraine unterhält.

In diesem Prozess, der gerade erst einen neuen Anstoss erfahren hat, akzeptiert die Versammlung jeden Fortschritt im Bereich der europäischen Verteidigung, d.h. jede Entscheidung, die sich auf ein Mehr an Europa und ein Mehr an Sicherheitsgarantien für Europa zubewegt. Durch ihr 50jähriges Bestehen repräsentiert die WEU einen beträchtlichen Erfolg, der sich u.a. von dem modifizierten Brüsseler Vertrag, von seinem Artikel 5 und der gesamten Arbeit der Institution ableitet. Es gibt reelle Ängste in bezug auf die Zukunft der Partnerländer und assoziierten Mitglieder, die bereits am Alltag der Organisation teilhaben.

Wir sind stolz auf das Erreichte, und wir fordern die europäischen Regierungen dazu auf, dass dem - egal bei welcher Entscheidung - Rechnung getragen wird. Wir werden unsere Institution niemals zu einem korporatistischen Verteidigungsobjekt machen, aber wir werden für dessen politische Substanz eintreten.

Mit anderen Worten: Unsere Zielsetzung geht nicht zugunsten dieses oder jenes Institutionenvorschlags und auch nicht zugunsten eines Aufgehens der WEU in der Europäischen Union. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die europäische Verteidigung zu verstärken, ohne notwendigerweise den Umweg über einen Integrationsprozess zu nehmen. Unser Ziel ist in jedem Fall die Stärkung der europäischen Verteidigung. Wenn so entschieden werden sollte, wenn der politische Wille zum Aufbau eines autonomen Gefüges - im Rahmen der Petersberg-Missionen beispielsweise - besteht, dann lässt sich der Frage nachgehen, was die beste institutionelle Lösung dafür ist. Aber man möge nicht die Ziele mit den Mitteln verwechseln, das wäre die schlimmste aller Lösungen.

Eigene Übersetzung des Forum



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