Zeitschrift
GASP
Zeitschrift Der Herausgeber Synthesen Verträge/ Gesetze Institutionen / Wahlen Literatur Unsere Partner

Startseite
Europa
Gasp - Verteidigung
Recht
Wirtschaft
Kultur
Eintrag
Streichung


• Die Erfahrungen der OSZE-Präsidentschaft Polens 1998
Heute hat sich die Stellung der OSZE innerhalb der europäischen Institutionenfamilie verbessert. Die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, wie der UNO, der Europäischen Union oder der Nordatlantischen Allianz wurde verstärkt oder in einigen Fällen auch erstmals eingegangen. Die OSZE bildet den Ausgangspunkt für wichtige staatliche Verhaltensnormen und -standards. Ihre Rolle ist ähnlich gelagert wie die des Europarates. Der Einflussbereich des nach universeller Geltung strebenden europäischen Erbes erweitert sich somit. Die polnische Präsidentschaft der OSZE im Jahre 1998 hat zu einer Verstärkung dieser positiven Entwicklung beigetragen. © 1999
Bronislaw GEREMEK - Polnischer Aussenminister Präsident der OSZE (1998)


Als ich vor zwei Jahren als Präsident der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten in der Nationalversammlung der Polnischen Republik dafür gestimmt habe, dass Polen die Präsidentschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Jahr 1998 übernehmen sollte, hatte ich Zweifel. Vereinfachend lässt sich sagen, dass für mich der OSZE nur wegen des "dritten Korbes" der Menschenrechte etwas Positives anhaftete, der für den Sturz des Kommunismus von tatsächlicher Bedeutung war. Der Rest stellte eine verschleierte Anerkennung der Teilung Europas "nach Jalta" dar - der Preis, den Europa für diesen "dritten Korb" eben zu zahlen bereit war.

Nach der Auflösung des bipolaren Systems in Europa, wurde der Nutzen der KSZE und auch der OSZE häufig bestritten; manche sahen sogar deren Rückbildung kommen. Für bestimmte Kräfte in Russland hingegen stellte der KSZE/OSZE-Prozess einen Diskussionsbereich dar, in dem sie trotz des Sturzes der UdSSR ihren Einfluss und ihre Position der Stärke würden aufrecht erhalten können.

Heute hat sich die Situation vollends gewandelt. Die Stellung der OSZE in der europäischen Institutionenfamilie hat sich verbessert. Die Zusammenarbeit zwischen der OSZE und anderen Organisationen wie z.B. den Vereinten Nationen, der Europäischen Union oder der Atlantischen Allianz ist verstärkt bzw. in einigen Fällen begründet worden. Die OSZE ist für wichtige staatliche Verhaltensnormen und -standards verantwortlich; sie spielt eine ähnliche Rolle wie der Europarat. Die Arbeiten an der Europäischen Sicherheitscharta gehen konstruktiv weiter.

Es muss hervorgehoben werden, dass die Demokratie in den letzten Jahren über den innenpolitischen Rahmen hinaus in den internationalen Beziehungen ihren Platz gefunden hat. In ihrem Betätigungsbereich hat die OSZE gewissermassen ein internationales "Protektorat" über die jungen Demokratien ausgeübt. Das gilt besonders für die Länder, die sich fast "zufällig" in der OSZE wiedergefunden haben, jedenfalls wenn man die Auflösung der UdSSR als einen Zufall betrachten kann. Das betraf in erster Linie die Beziehungen zu Partnerländern wie den Staaten in Zentralasien oder in Transkaukasien, deren Streben auf eine Stärkung ihrer Unabhängigkeit zielte. Es ist in unserem gemeinsamen Interesse, dass sie sich dem europäischen Wertesystem und den europäischen Strukturen anschliessen. Nur auf diesem Wege und nur demokratisch kann der europäische Raum erweitert werden; der Einflussbereich europäischer Traditionen, die nach universeller Wirkung streben, wächst ebenfalls an.

In meinen Augen hat die OSZE-Präsidentschaft Polens zur Stärkung dieser positiven Tendenzen beigetragen, besonders mit Blick auf die Umsetzung der Vorstellung, dass diese Organisation eine Ergänzung innerhalb eines Systems kooperierender Institutionen darstellt. In den Ländern, denen ich in meiner Eigenschaft als OSZE-Präsident einen Besuch abgestattet habe, wurde ich teils als Dissident betrachtet, der Fragen der Demokratie und der Menschenrechte einen besonderen Wert beimisst, teils als Vertreter eines Landes, das die wirtschaftliche Umstrukturierung mit nachhaltigem Erfolg betrieben hat. Das bedeutete für mich eine Quelle grosser Zufriedenheit, aber auch eine moralische Verpflichtung. Dadurch wurde die Erfüllung der unter die polnische Präsidentschaft fallenden Aufgaben erleichtert.

Dadurch dass sich unser Handeln auf den gesamten Kontinent erstreckte, haben wir durch Taten und nicht nur durch Worte - was immer leichter fällt - unter Beweis gestellt, dass wir ein verantwortungsbewusster Staat mit politischen Organisations- und notfalls auch Führungskapazitäten sind. Polens Stellung als nicht allein in wirtschaftlicher, sondern auch in politischer Hinsicht führende Nation in dieser Region in einer Gruppe von im Wandel befindlichen Ländern wurde nachhaltig gefestigt.

Unser Beitrag während der OSZE-Präsidentschaft im Jahre 1998

- In der europäischen Institutionenfamilie wurde die Stellung der OSZE als einer Organisation gestärkt, die sich mit einem Frühwarnsystem sowie einem System der Prävention und der Konfliktbeherrschung auf den Bereich der "sanften Sicherheit" spezialisiert. Sie hat sich gleichfalls um den komplexen Wiederaufbau nach dem Ende von Konflikten und um die Verbreitung der Normen und Mechanismen der Demokratie und der Menschenrechte bemüht. Der spektakulärste Beweis für das gewachsene Vertrauen der internationalen Gemeinschaft zu der OSZE bestand darin, dass ihr eine Mission anvertraut wurde, die sowohl mit Blick auf den Umfang als auch hinsichtlich der damit einhergehenden Schwierigkeiten ihresgleichen sucht: Die Überwachungsmission im Kosovo. Die OSZE verdankt diese Sonderstellung einer breiten Akzeptanz ihrer demokratischen Grundhaltung sowie ihrer Offenheit, Werten, die die moralische Autorität der Organisation begründen, auch wenn der Umgang damit bisweilen Probleme aufwirft.

- Wir haben zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der UNO und der OSZE als regionaler Organisation im Sinne des Kapitels VIII der Charta der Vereinten Nationen beigetragen und ein Verbindungsglied zwischen der europäischen und der globalen Sicherheit geschaffen. Das wurde auch in internationalen Dokumenten festgehalten. Was die europäische Sicherheit betrifft, so hat die Zusammenarbeit zwischen der OSZE und der UNO konkrete Ausmasse angenommen, wie z.B. bei der Umsetzung der Kosovo-Resolution des Sicherheitsrates, die bei dem UNO-Generalsekretär auf grosse Anerkennung gestossen ist. Diesbezüglich lässt sich auch festhalten, dass den Kosovo-Berichten des Generalsekretärs die monatlichen Informationen der OSZE-Präsidentschaft zugrunde liegen.

- In Abstimmung mit der Europäischen Union haben wir einen flexiblen Koordinationsrahmen zur Unterstützung Albaniens eingerichtet, der von stabilisierender Bedeutung für die Konfliktlösung nicht allein in diesem Land, sondern auch in der gesamten Region Südosteuropa ist. Eine informelle Hilfsgruppe zugunsten Albaniens kann in Zukunft vielleicht ein Modell bilden für derartige Interventionen der internationalen Gemeinschaft.

- Wir haben unseren Beitrag dazu geleistet, dass Washington den Möglichkeiten und dem Potential, das die OSZE bietet, sowie deren Bedeutung für den eurasischen Raum ein grösseres Interesse entgegenbringt. In seiner Rede in Berlin vom Mai 1998 hat Präsident Clinton die OSZE "als ein wichtiges Instrument zur Ausweitung des Geltungsbereichs der Demokratie" anerkannt und "als eine Organisation, deren breite Akzeptanz ihr Einheit und eine einmalige moralische Autorität auf dem Kontinent verleiht". Madeleine Albright hat sich im September in Wien und in den Schreiben, die sie mir hat zukommen lassen, ähnlich geäussert.

- Wir haben erfolgreiche Anstrengungen unternommen, um Russland als Partner an den Lösungen der europäischen Sicherheitsprobleme teilhaben zu lassen. Es konnte ein reeller, wenn auch nicht immer spektakulärer Fortschritt bei der Lösung zahlreicher Konflikte im post-sovietischen Raum erzielt werden. Wir haben alles getan, damit innerhalb der OSZE keine "eingefrorenen" oder vergessenen Konflikte fortbestehen. Die Ungewissheit, die in Warschau darüber herrschte, ob es nach unserer Präsidentschaft eventuell zu einer Abkühlung der Beziehungen mit Russland kommen würde, war unbegründet. Durch diese Präsidentschaft haben wir ganz im Gegenteil die unbestreitbare Befähigung zur Beschäftigung mit dem post-sovietischen Raum errungen; wir wurden stets als wichtige Gesprächspartner in diesem Bereich angesehen. Das hat sich im Dialog mit den Gesprächspartnern gezeigt, zuerst mit Minister Primakow und später mit Minister Ivanow.

- Wir haben dem Problem besondere Beachtung geschenkt, wie die Staaten Zentralasiens und Transkaukasiens in die OSZE integriert werden und wie sie deren Wertvorstellungen übernehmen können. Auf meinen Besuchen in diesen Regionen wurde ich von Vertretern des Europarates und der Europäischen Union begleitet. Wir haben dort das Gefühl geweckt, dass die Länder in diesen Regionen bei der Bewältigung der schwierigen Aufgaben nicht allein dastehen, die die Entwicklung und die Überwindung des postkommunistischen Erbes darstellen. Wir haben in diesen Ländern OSZE-Vertretungen gegründet.

- Dank unserer Bemühungen hat die Ausarbeitung der Europäischen Sicherheitscharta eine demokratische Ausrichtung angenommen zugunsten eines Konzepts kooperierender Institutionen, zwischen denen kein Hierarchieverhältnis herrscht. Die Arbeiten an der Charta, die vor dem OSZE-Gipfel in Istanbul im November 1999 abgeschlossen sein sollen, sind sehr konkret gehalten und packen das Problem an seiner Wurzel an. De facto haben wir das Konzept der Kooperativen Sicherheitsplattform verabschiedet, so wie es von den Ländern der Europäischen Union gefördert wurde.

- Ein dauerhaftes und wichtiges Grundelement der politischen und militärischen Karte in Europa besteht in der im Rahmen des KSZE/OSZE-Prozesses erweiterten Verringerung des Waffenbestands und der Rüstungskontrolle durch Vertrauensbildung und Sicherheit. Im letzten Jahr haben wir den Grundstein geschaffen, der für die Anpassung des Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) und für die Modernisierung des Wiener Dokuments 1994 über vertrauens- und sicherheitsbildende Massnahmen (VSBM) notwendig wurde. Die von Europa auf diesem Gebiet gemachten Erfahrungen werden nach und nach auf regionaler Ebene umgesetzt, so z.B. im Rahmen des Dayton-Abkommens.

- Wir haben zur Förderung der regionalen und subregionalen Sicherheitsdimension beigetragen. Eine in Stockholm, in Zusammenarbeit mit der schwedischen Regierung und den wissenschaftlichen Institutionen organisierte Sonderkonferenz war übrigens dieser Frage gewidmet.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Tätigkeit der OSZE unter der Präsidentschaft Polens ziehen?

- Der Versuch wäre hoffnungslos, wenn nicht kontraproduktiv, ein starres, hierarchisch geordnetes europäisches Organisationsgefüge errichten zu wollen, das dann die sogenannte europäische Sicherheitsarchitektur bildet. Wir haben einen vernünftigen Weg eingeschlagen, um unsere Effizienz unter Beweis zu stellen: zum einen durch ein kreatives Handeln, um den neuen Herausforderungen im eurasischen Raum zu begegnen, zum anderen durch eine praktische Kooperation, die auf den jeder einzelnen Organisation inhärenten Werten gründet.

- Der OSZE bietet sich die Möglichkeit, einen bedeutenden und einzigartigen Beitrag zur europäischen Sicherheit zu leisten, denn sie hat sich auf Frühwarnung, Prävention und Konfliktbeherrschung sowie auf den komplizierten Wiederaufbau nach Konfliktende spezialisiert. Diese Funktion wird ausschlaggebend sein für die weitere Glaubwürdigkeit der Organisation sowohl bei den politischen Eliten als auch in den Augen der öffentlichen Meinung in Europa. Diesbezüglich könnte das laufende Jahr eine grosse Herausforderung darstellen, vor allem im Licht der Ereignisse im Kosovo.

- Wir sollten unser Hauptaugenmerk auf den Bereich der ehemaligen UdSSR richten. Die OSZE geniesst in diesem Gebiet nicht nur grosses Ansehen, sondern sie hat auch eine echte Chance, die Aufgaben zu bewältigen, die von anderen Institutionen nicht in Angriff genommen werden können.

- Die "menschliche Dimension" ist ein integraler Bestandteil der Sicherheit heute. Der Schutz der Menschenrechte und die Förderung demokratischer Normen haben einen direkten Einfluss auf die Stärkung der internationalen Sicherheit. Heute ist die Frage des Schutzes von religiösen und ethnischen Minderheiten von ganz besonderer Bedeutung. Zwischen dem Grundsatz territorialer Integrität der Staaten und dem Recht auf Selbstbestimmung, zwischen nationaler Souveränität und dem Recht auf humanitäre Intervention müssen unermüdlich kreative Lösungen für die grossen Normkonflikte heutiger Politik gesucht werden.

- Die Versuche, ein System kollektiver Sicherheit klassischen Zuschnitts auf der Basis der OSZE zu formen, sind ineffizient. Die Instrumente zur Rüstungskontrolle und die Gestaltung der Sicherheit und der Vertrauensbildung, so wie sie im Rahmen des KSZE/OSZE-Prozesses ausgearbeitet worden waren, werden vertieft und ausgeweitet. Es ist nicht auszuschliessen, dass die in Europa gemachte Erfahrung sich diesbezüglich als nützlich herausstellen könnte, wobei aber die regionalen Proportionen und Besonderheiten, was die aussereuropäischen Bereiche, den Nahen Osten, Süd- oder Nordostasien betrifft, beibehalten werden.

- Die für die Tätigkeit der OSZE spezifischen Grundzüge, die von der Besonderheit der Organisation zeugen, müssen herausgestellt werden, d.h. ihre demokratische Grundausrichtung und die Transparenz ihres Handelns, ihr Pragmatismus und die fehlenden Verwaltungskosten. Praktisch bedeutet dies ein weitergehendes Engagement der OSZE-Troika in dem Tätigkeitsbereich der Präsidentschaft, wobei dieser allerdings weitreichende Handlungsspielräume belassen werden müssen, eine Ausweitung der Rolle der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und eine Stärkung des Sekretariats und der OSZE-Institutionen. Angesichts der zunehmenden OSZE-Missionen vor Ort und der Interventionsbereiche sollte allerdings eine Fremdsteuerung vermieden werden. Es sollte denjenigen, die vor Ort näher an den Ereignissen sind, eine freie Entscheidungswahl gelassen und nurmehr generelle Anweisungen gegeben werden.

Die vorstehende Liste ist weder komplett noch endgültig. Selbstzufriedenheit wäre eine Sünde. Wir müssen die eingetretenen Veränderungen aufmerksam verfolgen und flexibel darauf reagieren. Ich bin davon überzeugt, dass die Organisation durch die OSZE-Präsidentschaft unter der besonders kompetenten Leitung meines Kollegen, des norwegischen Ministers Knut Vollebaek, um viel Neues bereichert werden wird. Der gesamte Kontinent, seine Institutionen und Organisationen einschliesslich der OSZE müssen auf neue Herausforderungen gefasst sein.

Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir in diesem ausgehenden Jahrhundert vom Totalitarismus bis zur Demokratie und von der Konfrontation bis zur Zusammenarbeit eine lange und dramatische Epoche erfolgreich durchschritten haben. Dadurch wird es uns erst möglich, uns auf der Schwelle des 21. Jahrhunderts an die positive Aufgabe zu machen, eine bessere Zukunft für Europa zu errichten. Angesichts meiner anfänglichen Skepsis und Zweifel darf ich heute feststellen, dass ich glücklich darüber bin, dass mir die Ehre und die Pflicht zuteil geworden ist, der OSZE in einer für die Bestimmung der künftigen Gestalt unseres Kontinents derart wichtigen Phase vorzustehen.

Eigene Übersetzung des Forum



© Alle Rechte vorbehalten.