Als ich vor
zwei Jahren als Präsident der Kommission für Auswärtige
Angelegenheiten in der Nationalversammlung der Polnischen Republik
dafür gestimmt habe, dass Polen die Präsidentschaft der
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im
Jahr 1998 übernehmen sollte, hatte ich Zweifel. Vereinfachend
lässt sich sagen, dass für mich der OSZE nur wegen des
"dritten Korbes" der Menschenrechte etwas Positives anhaftete,
der für den Sturz des Kommunismus von tatsächlicher Bedeutung
war. Der Rest stellte eine verschleierte Anerkennung der Teilung
Europas "nach Jalta" dar - der Preis, den Europa für
diesen "dritten Korb" eben zu zahlen bereit war.
Nach der Auflösung
des bipolaren Systems in Europa, wurde der Nutzen der KSZE und auch
der OSZE häufig bestritten; manche sahen sogar deren Rückbildung
kommen. Für bestimmte Kräfte in Russland hingegen stellte
der KSZE/OSZE-Prozess einen Diskussionsbereich dar, in dem sie trotz
des Sturzes der UdSSR ihren Einfluss und ihre Position der Stärke
würden aufrecht erhalten können.
Heute hat sich
die Situation vollends gewandelt. Die Stellung der OSZE in der europäischen
Institutionenfamilie hat sich verbessert. Die Zusammenarbeit zwischen
der OSZE und anderen Organisationen wie z.B. den Vereinten Nationen,
der Europäischen Union oder der Atlantischen Allianz ist verstärkt
bzw. in einigen Fällen begründet worden. Die OSZE ist
für wichtige staatliche Verhaltensnormen und -standards verantwortlich;
sie spielt eine ähnliche Rolle wie der Europarat. Die Arbeiten
an der Europäischen Sicherheitscharta gehen konstruktiv weiter.
Es muss hervorgehoben
werden, dass die Demokratie in den letzten Jahren über den
innenpolitischen Rahmen hinaus in den internationalen Beziehungen
ihren Platz gefunden hat. In ihrem Betätigungsbereich hat die
OSZE gewissermassen ein internationales "Protektorat"
über die jungen Demokratien ausgeübt. Das gilt besonders
für die Länder, die sich fast "zufällig"
in der OSZE wiedergefunden haben, jedenfalls wenn man die Auflösung
der UdSSR als einen Zufall betrachten kann. Das betraf in erster
Linie die Beziehungen zu Partnerländern wie den Staaten in
Zentralasien oder in Transkaukasien, deren Streben auf eine Stärkung
ihrer Unabhängigkeit zielte. Es ist in unserem gemeinsamen
Interesse, dass sie sich dem europäischen Wertesystem und den
europäischen Strukturen anschliessen. Nur auf diesem Wege und
nur demokratisch kann der europäische Raum erweitert werden;
der Einflussbereich europäischer Traditionen, die nach universeller
Wirkung streben, wächst ebenfalls an.
In meinen Augen
hat die OSZE-Präsidentschaft Polens zur Stärkung dieser
positiven Tendenzen beigetragen, besonders mit Blick auf die Umsetzung
der Vorstellung, dass diese Organisation eine Ergänzung innerhalb
eines Systems kooperierender Institutionen darstellt. In den Ländern,
denen ich in meiner Eigenschaft als OSZE-Präsident einen Besuch
abgestattet habe, wurde ich teils als Dissident betrachtet, der
Fragen der Demokratie und der Menschenrechte einen besonderen Wert
beimisst, teils als Vertreter eines Landes, das die wirtschaftliche
Umstrukturierung mit nachhaltigem Erfolg betrieben hat. Das bedeutete
für mich eine Quelle grosser Zufriedenheit, aber auch eine
moralische Verpflichtung. Dadurch wurde die Erfüllung der unter
die polnische Präsidentschaft fallenden Aufgaben erleichtert.
Dadurch dass
sich unser Handeln auf den gesamten Kontinent erstreckte, haben
wir durch Taten und nicht nur durch Worte - was immer leichter fällt
- unter Beweis gestellt, dass wir ein verantwortungsbewusster Staat
mit politischen Organisations- und notfalls auch Führungskapazitäten
sind. Polens Stellung als nicht allein in wirtschaftlicher, sondern
auch in politischer Hinsicht führende Nation in dieser Region
in einer Gruppe von im Wandel befindlichen Ländern wurde nachhaltig
gefestigt.
Unser Beitrag
während der OSZE-Präsidentschaft im Jahre 1998
- In der europäischen
Institutionenfamilie wurde die Stellung der OSZE als einer Organisation
gestärkt, die sich mit einem Frühwarnsystem sowie einem
System der Prävention und der Konfliktbeherrschung auf den
Bereich der "sanften Sicherheit" spezialisiert. Sie hat
sich gleichfalls um den komplexen Wiederaufbau nach dem Ende von
Konflikten und um die Verbreitung der Normen und Mechanismen der
Demokratie und der Menschenrechte bemüht. Der spektakulärste
Beweis für das gewachsene Vertrauen der internationalen Gemeinschaft
zu der OSZE bestand darin, dass ihr eine Mission anvertraut wurde,
die sowohl mit Blick auf den Umfang als auch hinsichtlich der damit
einhergehenden Schwierigkeiten ihresgleichen sucht: Die Überwachungsmission
im Kosovo. Die OSZE verdankt diese Sonderstellung einer breiten
Akzeptanz ihrer demokratischen Grundhaltung sowie ihrer Offenheit,
Werten, die die moralische Autorität der Organisation begründen,
auch wenn der Umgang damit bisweilen Probleme aufwirft.
- Wir haben
zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der UNO und der OSZE
als regionaler Organisation im Sinne des Kapitels VIII der Charta
der Vereinten Nationen beigetragen und ein Verbindungsglied zwischen
der europäischen und der globalen Sicherheit geschaffen. Das
wurde auch in internationalen Dokumenten festgehalten. Was die europäische
Sicherheit betrifft, so hat die Zusammenarbeit zwischen der OSZE
und der UNO konkrete Ausmasse angenommen, wie z.B. bei der Umsetzung
der Kosovo-Resolution des Sicherheitsrates, die bei dem UNO-Generalsekretär
auf grosse Anerkennung gestossen ist. Diesbezüglich lässt
sich auch festhalten, dass den Kosovo-Berichten des Generalsekretärs
die monatlichen Informationen der OSZE-Präsidentschaft zugrunde
liegen.
- In Abstimmung
mit der Europäischen Union haben wir einen flexiblen Koordinationsrahmen
zur Unterstützung Albaniens eingerichtet, der von stabilisierender
Bedeutung für die Konfliktlösung nicht allein in diesem
Land, sondern auch in der gesamten Region Südosteuropa ist.
Eine informelle Hilfsgruppe zugunsten Albaniens kann in Zukunft
vielleicht ein Modell bilden für derartige Interventionen der
internationalen Gemeinschaft.
- Wir haben
unseren Beitrag dazu geleistet, dass Washington den Möglichkeiten
und dem Potential, das die OSZE bietet, sowie deren Bedeutung für
den eurasischen Raum ein grösseres Interesse entgegenbringt.
In seiner Rede in Berlin vom Mai 1998 hat Präsident Clinton
die OSZE "als ein wichtiges Instrument zur Ausweitung des Geltungsbereichs
der Demokratie" anerkannt und "als eine Organisation,
deren breite Akzeptanz ihr Einheit und eine einmalige moralische
Autorität auf dem Kontinent verleiht". Madeleine Albright
hat sich im September in Wien und in den Schreiben, die sie mir
hat zukommen lassen, ähnlich geäussert.
- Wir haben
erfolgreiche Anstrengungen unternommen, um Russland als Partner
an den Lösungen der europäischen Sicherheitsprobleme teilhaben
zu lassen. Es konnte ein reeller, wenn auch nicht immer spektakulärer
Fortschritt bei der Lösung zahlreicher Konflikte im post-sovietischen
Raum erzielt werden. Wir haben alles getan, damit innerhalb der
OSZE keine "eingefrorenen" oder vergessenen Konflikte
fortbestehen. Die Ungewissheit, die in Warschau darüber herrschte,
ob es nach unserer Präsidentschaft eventuell zu einer Abkühlung
der Beziehungen mit Russland kommen würde, war unbegründet.
Durch diese Präsidentschaft haben wir ganz im Gegenteil die
unbestreitbare Befähigung zur Beschäftigung mit dem post-sovietischen
Raum errungen; wir wurden stets als wichtige Gesprächspartner
in diesem Bereich angesehen. Das hat sich im Dialog mit den Gesprächspartnern
gezeigt, zuerst mit Minister Primakow und später mit Minister
Ivanow.
- Wir haben
dem Problem besondere Beachtung geschenkt, wie die Staaten Zentralasiens
und Transkaukasiens in die OSZE integriert werden und wie sie deren
Wertvorstellungen übernehmen können. Auf meinen Besuchen
in diesen Regionen wurde ich von Vertretern des Europarates und
der Europäischen Union begleitet. Wir haben dort das Gefühl
geweckt, dass die Länder in diesen Regionen bei der Bewältigung
der schwierigen Aufgaben nicht allein dastehen, die die Entwicklung
und die Überwindung des postkommunistischen Erbes darstellen.
Wir haben in diesen Ländern OSZE-Vertretungen gegründet.
- Dank unserer
Bemühungen hat die Ausarbeitung der Europäischen Sicherheitscharta
eine demokratische Ausrichtung angenommen zugunsten eines Konzepts
kooperierender Institutionen, zwischen denen kein Hierarchieverhältnis
herrscht. Die Arbeiten an der Charta, die vor dem OSZE-Gipfel in
Istanbul im November 1999 abgeschlossen sein sollen, sind sehr konkret
gehalten und packen das Problem an seiner Wurzel an. De facto haben
wir das Konzept der Kooperativen Sicherheitsplattform verabschiedet,
so wie es von den Ländern der Europäischen Union gefördert
wurde.
- Ein dauerhaftes
und wichtiges Grundelement der politischen und militärischen
Karte in Europa besteht in der im Rahmen des KSZE/OSZE-Prozesses
erweiterten Verringerung des Waffenbestands und der Rüstungskontrolle
durch Vertrauensbildung und Sicherheit. Im letzten Jahr haben wir
den Grundstein geschaffen, der für die Anpassung des Vertrags
über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) und für
die Modernisierung des Wiener Dokuments 1994 über vertrauens-
und sicherheitsbildende Massnahmen (VSBM) notwendig wurde. Die von
Europa auf diesem Gebiet gemachten Erfahrungen werden nach und nach
auf regionaler Ebene umgesetzt, so z.B. im Rahmen des Dayton-Abkommens.
- Wir haben
zur Förderung der regionalen und subregionalen Sicherheitsdimension
beigetragen. Eine in Stockholm, in Zusammenarbeit mit der schwedischen
Regierung und den wissenschaftlichen Institutionen organisierte
Sonderkonferenz war übrigens dieser Frage gewidmet.
Welche Schlussfolgerungen
lassen sich aus der Tätigkeit der OSZE unter der Präsidentschaft
Polens ziehen?
- Der Versuch
wäre hoffnungslos, wenn nicht kontraproduktiv, ein starres,
hierarchisch geordnetes europäisches Organisationsgefüge
errichten zu wollen, das dann die sogenannte europäische Sicherheitsarchitektur
bildet. Wir haben einen vernünftigen Weg eingeschlagen, um
unsere Effizienz unter Beweis zu stellen: zum einen durch ein kreatives
Handeln, um den neuen Herausforderungen im eurasischen Raum zu begegnen,
zum anderen durch eine praktische Kooperation, die auf den jeder
einzelnen Organisation inhärenten Werten gründet.
- Der OSZE
bietet sich die Möglichkeit, einen bedeutenden und einzigartigen
Beitrag zur europäischen Sicherheit zu leisten, denn sie hat
sich auf Frühwarnung, Prävention und Konfliktbeherrschung
sowie auf den komplizierten Wiederaufbau nach Konfliktende spezialisiert.
Diese Funktion wird ausschlaggebend sein für die weitere Glaubwürdigkeit
der Organisation sowohl bei den politischen Eliten als auch in den
Augen der öffentlichen Meinung in Europa. Diesbezüglich
könnte das laufende Jahr eine grosse Herausforderung darstellen,
vor allem im Licht der Ereignisse im Kosovo.
- Wir sollten
unser Hauptaugenmerk auf den Bereich der ehemaligen UdSSR richten.
Die OSZE geniesst in diesem Gebiet nicht nur grosses Ansehen, sondern
sie hat auch eine echte Chance, die Aufgaben zu bewältigen,
die von anderen Institutionen nicht in Angriff genommen werden können.
- Die "menschliche
Dimension" ist ein integraler Bestandteil der Sicherheit heute.
Der Schutz der Menschenrechte und die Förderung demokratischer
Normen haben einen direkten Einfluss auf die Stärkung der internationalen
Sicherheit. Heute ist die Frage des Schutzes von religiösen
und ethnischen Minderheiten von ganz besonderer Bedeutung. Zwischen
dem Grundsatz territorialer Integrität der Staaten und dem
Recht auf Selbstbestimmung, zwischen nationaler Souveränität
und dem Recht auf humanitäre Intervention müssen unermüdlich
kreative Lösungen für die grossen Normkonflikte heutiger
Politik gesucht werden.
- Die Versuche,
ein System kollektiver Sicherheit klassischen Zuschnitts auf der
Basis der OSZE zu formen, sind ineffizient. Die Instrumente zur
Rüstungskontrolle und die Gestaltung der Sicherheit und der
Vertrauensbildung, so wie sie im Rahmen des KSZE/OSZE-Prozesses
ausgearbeitet worden waren, werden vertieft und ausgeweitet. Es
ist nicht auszuschliessen, dass die in Europa gemachte Erfahrung
sich diesbezüglich als nützlich herausstellen könnte,
wobei aber die regionalen Proportionen und Besonderheiten, was die
aussereuropäischen Bereiche, den Nahen Osten, Süd- oder
Nordostasien betrifft, beibehalten werden.
- Die für
die Tätigkeit der OSZE spezifischen Grundzüge, die von
der Besonderheit der Organisation zeugen, müssen herausgestellt
werden, d.h. ihre demokratische Grundausrichtung und die Transparenz
ihres Handelns, ihr Pragmatismus und die fehlenden Verwaltungskosten.
Praktisch bedeutet dies ein weitergehendes Engagement der OSZE-Troika
in dem Tätigkeitsbereich der Präsidentschaft, wobei dieser
allerdings weitreichende Handlungsspielräume belassen werden
müssen, eine Ausweitung der Rolle der Parlamentarischen Versammlung
der OSZE und eine Stärkung des Sekretariats und der OSZE-Institutionen.
Angesichts der zunehmenden OSZE-Missionen vor Ort und der Interventionsbereiche
sollte allerdings eine Fremdsteuerung vermieden werden. Es sollte
denjenigen, die vor Ort näher an den Ereignissen sind, eine
freie Entscheidungswahl gelassen und nurmehr generelle Anweisungen
gegeben werden.
Die vorstehende
Liste ist weder komplett noch endgültig. Selbstzufriedenheit
wäre eine Sünde. Wir müssen die eingetretenen Veränderungen
aufmerksam verfolgen und flexibel darauf reagieren. Ich bin davon
überzeugt, dass die Organisation durch die OSZE-Präsidentschaft
unter der besonders kompetenten Leitung meines Kollegen, des norwegischen
Ministers Knut Vollebaek, um viel Neues bereichert werden wird.
Der gesamte Kontinent, seine Institutionen und Organisationen einschliesslich
der OSZE müssen auf neue Herausforderungen gefasst sein.
Wir dürfen
aber auch nicht vergessen, dass wir in diesem ausgehenden Jahrhundert
vom Totalitarismus bis zur Demokratie und von der Konfrontation
bis zur Zusammenarbeit eine lange und dramatische Epoche erfolgreich
durchschritten haben. Dadurch wird es uns erst möglich, uns
auf der Schwelle des 21. Jahrhunderts an die positive Aufgabe zu
machen, eine bessere Zukunft für Europa zu errichten. Angesichts
meiner anfänglichen Skepsis und Zweifel darf ich heute feststellen,
dass ich glücklich darüber bin, dass mir die Ehre und
die Pflicht zuteil geworden ist, der OSZE in einer für die
Bestimmung der künftigen Gestalt unseres Kontinents derart
wichtigen Phase vorzustehen.
Eigene
Übersetzung des Forum
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