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• Die gemeinsame Sicherheit als zukünftiger Arbeitsbereich
europäischer Integration
Europa hat Fortschritte erzielt, die noch weiter ausgebaut werden können. Ich denke vor allem an die in Maastricht, Amsterdam und jüngst - am 4. Dezember 1998 - in Saint-Malo erzielten Fortschritte. Dass Deutschland sowohl der EU als auch der WEU im ersten Halbjahr 1999 vorsitzen wird, verspricht ein solides und konzertiertes Vorankommen. Innerhalb der Atlantischen Allianz gewinnt die ESVI an Akzeptanz. Die Grundlage unseres Handelns besteht heute allerdings in dem Wunsch nach pragmatischen, handlungsorientierten Fortschritten, anstatt sich auf die institutionellen Fragen zu konzentrieren. © 1999
Alain RICHARD - Französischer Verteidigungsminister


In diesem Jahrhundert, das nunmehr seinem Ende entgegengeht, gewinnen langsam neue Gegebenheiten an Gestalt. Das Tagesgeschehen erinnert uns jeden Tag aufs Neue an das, was wir in den Bereichen Wirtschaft, Recht und Währung bereits erreicht haben.

Über dieses Tagesgeschehen hinaus spüren wir, wie sich unsere Mitbürger allmählich an ein Leben in Europa und an ein Denken als Europäer gewöhnen. Diese verschiedenen Entwicklungen und Erfolge, die ich als Fortschritt bezeichnen möchte, stellen uns nun erneut vor eine Herausforderung: Unseren Nationen ist es in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen, sich eben dieser Herausforderung zu stellen, unsere Werte auch in einer Aussen- und Verteidigungspolitik aufgehen zu lassen.

So hat sich unsere Arbeit nunmehr auf den Bereich Sicherheit und Verteidigung zu richten.

Die Europäer haben sich in den frühen 50er Jahren dazu entschlossen, sich zwecks einer militärischen Umsetzung der in Artikel V des modifizierten Vertrags von Brüssel verankerten kollektiven Sicherheit der NATO anzuschliessen. Mit dieser Entscheidung wurde billigend hingenommen, ja wurde erst die Voraussetzung dafür geschaffen, dass eine nicht unbedeutende Zahl amerikanischer Truppenverbände dauerhaft auf unserem Boden stationiert würde. Die Lösung der Krisen, von denen unser Kontinent während des Kalten Krieges betroffen war, hat den zentralen Einfluss der amerikanischen Streitkräfte deutlich zutage treten lassen. In den letzten zehn Jahren haben neue Formen der Spannungs- und Krisensituationen erneut die Stärke der europäisch-atlantischen Partnerschaft unter Beweis gestellt.

Die Sicherheit in Europa hat der NATO viel zu verdanken, und die Vereinigten Staaten bleiben in dieser Hinsicht auch weiterhin ein zentraler Akteur. Aber gerade angesichts der Fortschritte Europas und seines gewachsenen Einflusses in den globalen Debatten bei Finanz-, Währungs-, Handels- und Wissenschaftsfragen sowie auch in diplomatischer Hinsicht scheint es ratsam, dass es von sich aus mehr Veranwortung für seine eigene Sicherheit übernimmt, vor allem auch angesichts der Bedrohungen und Gefahren, die von unzweifelhaft regionalem Charakter sind.

Ausserdem ist bekannt, wie stark der Entscheidungsfindungsprozess in den Vereinigten Staaten auf einem fragilen Ausgleichs- und Balancemechanismus beruht, und auch, dass im Kongress bisweilen Stimmen laut werden, die die riskanten Einsätze in fernen Krisenregionen lieber vermieden sähen. Die schwere Verantwortungslast, sich als alleinige Supermacht derart vielen Herausforderungen stellen zu müssen, kann dies unterschwellige Zögern nur noch verstärken.

Wir haben unsererseits auch Fortschritte gemacht, die sich noch weiterführen lassen. Ich denke an die Weiterentwicklungen von Maastricht und Amsterdam und auch an die von Saint-Malo am 4. Dezember 1998. Die doppelte Präsidentschaft Deutschlands sowohl der EU als auch der WEU im ersten Halbjahr 1999 lässt auf eine solide und konzertierte Fortentwicklung hoffen.

In der Atlantischen Allianz hat der Begriff der ESVI (Europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität) an Geltung gewonnen.

Der Europäischen Union, die früher oder später die Kapazitäten und die Aufgaben der WEU übernehmen muss, ist in Zukunft ohne Frage eine bedeutendere Rolle beschieden.

Der Europäische Rat, der sich aus den gewählten Staats- und Regierungschefs in Europa zusammensetzt, ist das politische Legitimitätszentrum, dem auch die sicherheitspolitischen Interventionskapazitäten zugeteilt werden können, um ihn so erst umfassend handlungsfähig werden zu lassen. Er verkörpert den Ausdruck der fünfzehn souveränen Staaten, die sich zu einem gemeinsamen Handeln entschlossen haben. Anders gesagt: Bei gleichzeitiger Flexibilität - die geboten ist, will man jeden einzelnen Staat in seiner Souveränität achten - kommt dieser Wille in dem Prinzip der Zwischenstaatlichkeit voll und ganz zum Ausdruck.

Hinsichtlich der Frage, in welcher Form die Westeuropäische Union heute an der GASP (Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik) teilhaben und die EU um ihre politisch-militärischen Kapazitäten verstärken könne, steht der Konsultationsprozess noch an seinem Anfang. Jedes der betroffenen Länder muss sich erst noch dazu äussern, damit die in dieser Frage angemessenste Entscheidung getroffen werden kann.

Was für unser Handeln heute entscheidend ist - und wodurch die Strategie von Saint-Malo erst ihre ganze Bedeutung erlangt -, ist der Wille zu einem pragmatischen Vorgehen, zu einer stärkeren Hinwendung zu einem konkreten Tätigwerden, anstatt sich allein auf institutionelle Fragestellungen zu konzentrieren.

Im Hinblick auf die WEU selbst darf aus der stärker werdenden Diskussion um eine europäische Verteidigung nicht der Eindruck entstehen, diese harre nurmehr ihrer Auflösung.

Die WEU kann auf eine ganze Reihe von Erfolgen verweisen: auf Artikel V des Brüsseler Vertrags, auf einen genuin europäischen Ansatz bei Verteidigungsfragen, aber auch auf Kapazitäten und Ressourcen, die uns, selbst wenn sie noch hinter unseren Erwartungen zurückbleiben, bereits eine Richtung vorgeben.

Es liegt an uns, diese Errungenschaften sinnvoll und mit Blick auf eine über die WEU hinausgehende Zielsetzung einzusetzen, ohne uns dessen zu berauben, was ihren spezifischen Beitrag zu einer Europäischen Verteidigungspolitik ausmacht.

Dabei denke ich vor allem an die allseits bekannten "Aktiva" und Pluspunkte: die Planungszelle, die neue Struktur des Militärstabes, das Satellitenzentrum, das Institut für Sicherheitsfragen, die Koordinationsorgane für Fragen der Rüstungspolitik (WEAG, WEAO).

Dabei denke ich aber auch an den Arbeitsalltag und die dort gemachten Erfahrungen: Was die Verteidigungspolitik betrifft, so haben wir gemeinsames Arbeiten vor allem im Rahmen der WEU gelernt. Es liegt nun an uns, auf der Grundlage dieser Erfahrung ein System zu errichten, das der Vorbereitung politischer Entscheidungen in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen und deren wirksamer Umsetzung dient.

Eine andere Frage betrifft die Fortentwicklung der Europäischen Verteidigung innerhalb der NATO. Für sich allein betrachtet ist dieser Aspekt unbefriedigend. Deswegen darf er aber noch lange nicht zu einem untergeordneten Element unserer Zielsetzungen herabgestuft werden.

Die Europäische Verteidigung muss „auf zwei Beinen" stehen, d.h. einerseits innerhalb der Atlantischen Allianz an Bedeutung gewinnen, andererseits aber auch an Autonomie ihr gegenüber, wobei diese zweite Dimension der ersten durchaus nicht widerspricht, sondern diese nur noch verstärken kann. Genau darin besteht ja auch die Quintessenz der Beschlüsse von Saint-Malo, die von unseren deutschen Freunden in voller Übereinstimmung aufgegriffen wurden.

Was die NATO betrifft, so müssen wir uns zuallererst über die auf dem Berliner Gipfel 1996 beschlossenen Ziele voll und ganz klar werden, die in meinen Augen einen Schlüsselfaktor für das neue euroatlantische Gleichgewicht darstellen. Wir müssen allerdings auch über Berlin hinausgehen und den stellvertretenden NATO-Oberkommandierenden für Europa (SACEUR) mit Mitteln ausstatten, mit denen er seine europäischen Aufgaben erst voll und ganz wird wahrnehmen können, und ausserdem der Europäischen Union den Zugang zu den NATO-Ressourcen - vor allem im Bereich der Planung - ermöglichen.

Was die rein europäische Dimension betrifft, so beinhaltet sie, dass mit dem Aufbau autonomer Kommandostrukturen fortgefahren wird, die über bewaffnete Streitkräfte und eine glaubwürdige Befehlsgewalt verfügen sollten. Die Europäer könnten jeweils dann darauf zurückgreifen, wenn die Amerikaner keinen NATO-Einsatz wünschen.

Vor der Umsetzung dieser Prinzipien haben wir gemeinsam noch viel Arbeit zu bewältigen. Wir müssen von einer klaren Vorstellung unserer Interessen ausgehen, die sich dank unserer Vor-Ort-Erfahrung besser bestimmen lassen. Sodann gilt es, auf dieser Grundlage über die geeignetsten Mittel nachzudenken, wie man ihnen in realistischer Weise gerecht werden kann, ohne dabei ein allzu schwerfälliges System anzuvisieren, das nur eine Kopie der NATO wäre, aber auch ohne uns mit rein symbolischen Organen zu begnügen.

Das wird ein langer Weg werden. Beim Euro hat dies zehn Jahre in Anspruch genommen. Wir werden allerdings nur erfolgreich sein, wenn wir gemeinsam daran arbeiten. Genau darin besteht unser Wunsch. Aussenminister Hubert Vedrine und ich haben eine Vielzahl von Ländern bereist, um unser Vorgehen zu erklären. Wir setzen unsere Arbeit fort, denn die Europäische Verteidigung ist überhaupt nur in Abstimmung mit allen Europäern vorstellbar. Wir arbeiten auch weiterhin vertrauensvoll und transparent mit den Vereinigten Staaten zusammen, denn wir sind uns alle bewusst, dass sich eine Europäische Verteidigung nicht mit der Absicht erreichen lässt, mit unserem Hauptalliierten zu rivalisieren, sondern nur auf der Grundlage des gemeinsamen Wunsches, wir als Europäer sollten die Möglichkeiten haben, unserer eigenen Verantwortung gerecht zu werden.

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