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• Europäische Verteidigungspolitik : Französische Initiativen
und deutsch-französische Partnerschaft
Es musste erst ein Krieg ausbrechen, bevor sich Europa ernsthaft seiner Mängel auf dem Gebiet der Verteidigung bewusst wurde. Wir empfanden diese Situation wirklich als unangenehm, weil wir das Gefühl hatten, dass die Europäer, die von dem Konflikt doch zuallererst betroffen waren, bei den Gesprächen anderthalb Jahre lang zwar eine unschätzbare Rolle gespielt hatten, dass aber zu dem Zeitpunkt, als es darum ging, militärisch zu drohen, um eine politische Lösung zu erzwingen, die Unterstützung durch die Vereinigten Staaten und deren militärische Überlegenheit in Anspruch genommen werden mussten. Für uns Europäer war dieser Konflikt eine Gelegenheit, uns dessen bewusst zu werden, dass dieses ursprünglich militärische Handicap irgendwann in ein politisches umschlagen würde.© 2000
Paul QUILES - Abgeordneter des Dept. Tarn, Vorsitzender des
Ausschusses für Verteidigung in der Nationalversammlung


Ende November hat Bundeskanzler Gerhard Schröder im Anschluss an das deutsch-französische Gipfeltref-fen, das die Entwicklung der europäischen Verteidigung noch einmal ein Stück weitergebracht hat, vor den Abgeordneten der französischen Nationalversammlung gesprochen.

Der Gedanke einer europäischen Verteidigungspolitik ist gewissermassen ein deutsch-französischer Gedanke, und es gab zahlreiche Gelegenheiten, wo die gemeinsame Verteidigungspolitik dank der Einvernehmlichkeit der deutsch-französischen Partnerschaft wieder auf den rechten Weg gebracht werden konnte. Die erst vor kurzem erfolgte Fusion zwischen Aérospatiale Matra und Dasa stellt ein schönes Symbol für eine europäische Verteidigungsindustrie dar, die unter den Impulsen Deutschlands und Frankreichs an Stärke gewinnt.

Der Fortgang der europäischen Verteidigungspolitik hat sich im Laufe der letzten Monate stark beschleunigt. Saint-Malo, Köln, Toulouse, London bildeten die grundlegenden Etappen. Vor kurzem hat der Europäische Rat in Helsinki diesen vor einem Jahr begonnenen Prozess gekrönt. Die Europäer sind sich nunmehr darüber einig, dass eine eigene, europäische militärische Interventionsstreitkraft notwendig ist; an deren Strukturen wird gearbeitet (WEU, GASP); neue Organe zur Leitung und Planung von Militäroperationen werden begründet: ein politisches Sicherheitskomitee, ein Militärkomitee, ein Generalstab; sie gewinnen an Glaubwürdigkeit, wie durch das Vorhaben bezeugt wird, Europa den Oberbefehl der KFOR im Kosovo zu übertragen.

Dennoch bleibt noch viel zu tun, um alle in Helsinki getroffenen Entscheidungen inhaltlich und effizient zu konkretisieren.

Ich glaube vor allem, dass wir aus unserem Wunsch nach einer europäischen Verteidigungsidentität die sich daraus ergebenden rüstungspolitischen, technologischen und budgetären Konsequenzen klarer ziehen müssen. Eine Europäisierung unserer Verteidigungsbudgets sowie eine Rationalisierung der Verwendung der Zuweisungen werden bald zu einer Notwendigkeit werden.

Angesichts der Tatsache, dass heute keines der europäischen Länder über hinreichend Mittel verfügt, alle Waffensysteme zu entwickeln und die Forschung in allen Bereichen zu finanzieren, werden wir möglichst weit oben ansetzen müssen. Das setzt z.B. voraus, dass über Mängel nicht länger in einem streng nationalen Rahmen nachgedacht wird, sondern in einem globaleren, europäischen Zusammenhang. Warum sollten wir für bestimmte Waffengattungen, über die unsere europäischen Partner bereits verfügen, kostenintensive nationale Programme anstrengen? Warum sollten wir nicht lernen, unsere Ressourcen zu poolen und auf europäischer Ebene Sammelaufträge für bestimmte Systeme auszugeben?

Diese Entwicklung sollte natürlich vorrangig die Bereiche betreffen, in denen sich ein Mangel bemerkbar macht: bei strategischen und taktischen Transportmitteln, Beobachtungs- und Abhörsatelliten im All, Präzisionswaffensystemen, die aus sicherer Entfernung eingesetzt werden können, und - warum nicht auch - bei neuen Flugzeugträger. In diesem Zusammenhang wäre es wünschenswert, wenn wir uns angewöhnen würden, unsere militärischen Planungsgesetze in Abstimmung mit unseren Partnern auszuarbeiten. Warum sollten wir nicht auch im Vorfeld zu diesen Bemühungen ein europäisches "Weissbuch" der Verteidigung ins Auge fassen, in dem auf der Grundlage eines einzigen Befundes gemeinsame Ziele definiert werden könnten?

All das ist ein ehrgeiziges Programm, doch glaube ich, dass wir umso leichter Fortschritte erzielen werden, als uns das Kosovo unsere Unzulänglichkeiten klar und deutlich vor Augen geführt hat. Es musste also erst zu einem Krieg kommen, bevor sich Europa ernsthaft seiner Mängel auf dem Gebiet der Verteidigung bewusst geworden ist. Wir empfanden diese Situation wirklich als unangenehm, weil wir das Gefühl hatten, dass die Europäer, die von dem Konflikt doch zuallererst betroffen waren, bei den Gesprächen anderthalb Jahre lang zwar eine unschätzbare Rolle gespielt hatten, dass aber zu dem Zeitpunkt, als es darum ging, militärisch zu drohen, um eine politische Lösung zu erzwingen, die Unterstützung durch die Vereinigten Staaten und deren militärische Überlegenheit in Anspruch genommen werden mussten. So haben also die Vereinigten Staaten 80% aller Einsatzflugzeuge der Atlantischen Allianz gestellt und die Schwächen der europäischen Streitkräfte in bezug auf Präzisionswaffen und Aufklärungspotential kompensieren müssen.

Für uns Europäer war dieser Konflikt eine Gelegenheit, sich dessen bewusst zu werden, dass dieses ursprünglich militärische Handicap irgendwann zu einem politischen werden wird: Wie kann man in einer Verhandlungssituation Druck ausüben, wenn andere als man selbst über das militärische Instrumentarium verfügen, auf das man zur Durchsetzung einer politischen Lösung zurückgreift? Wie wollte man verhindern, dass die Amerikaner ihrem Standpunkt mit Nachdruck Geltung verschaffen, wo sie doch einen immer noch beträchtlichen Anteil an unserer Sicherheit gewährleisten?

Manchmal ist zu hören, dass ausserhalb der Allianz kein Heil zu finden sei und dass sich ausserhalb der NATO kein europäisches Verteidigungssystem errichten lasse. Tatsächlich stellt sich die Frage aber nicht in dieser Form. In der Struktur der NATO spiegelt sich augenblicklich die militärische Dominanz der Vereinigten Staaten wider. Deswegen müssen wir aus zwei Gründen eine europäische Verteidigung begründen: um das Gleichgewicht in der transatlantischen Partnerschaft wieder herzustellen und damit Europa im Ernstfall eigenständig handeln kann.

Dies zu behaupten, bedeutet, dass Europa über die Mittel zu einer Einsatzplanung, zu multinationalen Generalstäben und Kommandostrukturen verfügen muss, wie sie für eigenständige Einsätze vonnöten sind, aber auch über Streitkräfte wie z.B. eine schnelle Eingreiftruppe, mit denen solche Operationen durchgeführt werden können. Die Entscheidungen des Europäischen Rates in Helsinki zur Schaffung bis zum Jahre 2003 von Streitkräften zwischen 50.000 und 60.000 Mann, die binnen 60 Tagen einsatzfähig sein sollen, weisen in diese Richtung. Mit diesen Kapazitäten und Strukturen lässt sich sowohl an Einsätzen im Rahmen der NATO als auch ausserhalb der NATO teilnehmen.

Das Gipfeltreffen in Helsinki stellt eine grundlegende Etappe dar auf dem Weg zu einer europäischen Verteidigungspolitik. Nunmehr gilt es, zur Tat zu schreiten. Das allerdings setzt die Entschlossenheit der Europäer voraus.

Eigene Übersetzung des Forum



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