Zeitschrift
GASP
Zeitschrift Der Herausgeber Synthesen Verträge/ Gesetze Institutionen / Wahlen Literatur Unsere Partner

Startseite
Europa
Gasp - Verteidigung
Recht
Wirtschaft
Kultur
Eintrag
Streichung


• Die europäische Verteidigung auf dem Vormarsch
Das Vereinigte Königreich sagt seit langem, dass Europas Wünsche nach einer Außen- und Sicherheitspolitik so lange folgenlos bleiben werden, wie nicht für die Ausstattung mit den notwendigen Kapazitäten gesorgt wird, die seinen Anliegen auf diesem Gebiet erst Nachdruck verleihen. Europa wird nur dann eine wahrhafte verteidigungspolitische Identität bekommen, wenn ihm die notwendigen Militärkapazitäten verliehen werden, um zur Durchsetzung seiner gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wirkliche Interventionen am Boden, zu Wasser und in der Luft zu führen. Die NATO bildet die Grundlage unserer kollektiven Verteidigung und wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle für das Krisenmanagement spielen. Dadurch, dass wir Europa mit eigenen Militärkapazitäten versehen, verstärken wir nicht allein seine Interventionsfähigkeit, sondern konsolidieren darüber hinaus auch die Atlantische Allianz.© 2000
Sir Michael JAY - Botschafter Grossbritanniens in Frankreich


Europa hat im Dezember in Helsinki einen wichtigen Schritt getan auf der Suche nach dem Ausdruck seiner verteidigungspolitischen Identität, die es ihm ermöglicht, seiner internationalen Rolle voll und ganz gerecht zu werden. Man muss darin eine Fortsetzung des im Dezember 1998 auf dem französisch-britischen Gipfeltreffen von Saint-Malo eingeleiteten Prozesses sehen, der anschliessend vor allem auf dem französisch-britischen Gipfel vom 25. bzw. auf dem britisch-deutschen Gipfel vom 30. November 1999 weitergeführt worden war. Infolge der Kosovo-Erfahrung haben wir begriffen, dass die Länder des Alten Kontinents ihre Militärkapazitäten verdichten müssen, um bei militärischen Interventionen der Nato ihre Nützlichkeit unter Beweis stellen zu können und Operationen zum Krisenmanagment dort durchzuführen, wo die Allianz als solche nicht tätig wird.

Das Vereinigte Königreich sagt seit langem, dass Europas Wünsche nach einer Aussen- und Sicherheitspolitik so lange folgenlos bleiben werden, wie nicht für die Ausstattung mit den notwendigen Kapazitäten gesorgt wird, die seinen Anliegen auf diesem Gebiet erst Nachdruck verleihen. Wie der ehemalige Verteidigungsminister George Robertson sagte, wird man eine Krise nicht bewältigen, indem man ein Institutionengefüge auf dem Papier entwirft. Europa wird nur dann eine wahrhafte verteidigungspolitische Identität bekommen, wenn ihm die notwendigen Militärkapazitäten verliehen werden, um zur Durchsetzung seiner gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik wirkliche Interventionen am Boden, zu Wasser und in der Luft zu führen.

Das Kosovo hat gezeigt, dass wir einen grösseren Teil der europäischen Verteidigung kollektiv übernehmen müssen. Davon sind wir aufgrund fehlender Kapazitäten augenblicklich weit entfernt. Wenn wir unsere Verteidigung und unsere Sicherheit wirklich wieder selbst in die Hand nehmen wollen, müssen wir zügig die diesbezüglich notwendigen konkreten Anordnungen treffen. Die europäischen Entscheidungsträger sind sich jeder für sich und gemeinsam darüber im Klaren, dass Europa mehr zu leisten hat. Die Frage ist nur, inwiefern und wie dies geleistet werden kann. Wir müssen uns ein präzises Ziel stecken und uns über die einzuschlagende Richtung verständigen. Wenn es in unserer Absicht liegt, mit der Verteidigungsinitiative etwas zu erreichen, müssen wir uns ein ehrgeiziges, aber auch erreichbares Ziel stecken.

Der Europäische Rat hat in Helsinki die Mittel bestimmt, über die wir verfügen müssen, um im Rahmen von anspruchsvollen Aufgaben, z.B. von "Petersberger Missionen", militärisch eingreifen zu können, egal ob diese nun unter der Ägide der NATO oder der Europäischen Union stehen. Genauer gesagt, müssen wir schnell und langfristig einsatzfähige Streitkräfte mobilisieren können, die das Niveau eines Armeekorps von ungefähr 50.000 bis 60.000 Mann haben und die über die notwendigen Kapazitäten im Bereich der Kommandostrukturen, der Durchführung von Einsätzen und Aufklärungsoperationen, der Logistik, der Hilfs- und Kampfeinheiten verfügen sowie über angemessene Einsatzmöglichkeiten zu Wasser und in der Luft. Die fünfzehn Mitgliedstaaten haben sich in Helsinki gleichfalls dazu verpflichtet, die notwendigen Entscheidungsorgane zur Durchführung von Militäroperationen und deren politischer und strategischer Steuerung einzurichten.

Auf dem deutsch-französischen Gipfel in Paris am 30. November haben die beiden Länder die europäische Verteidigungsfrage entscheidend vorangetrieben. Sie haben sich darauf verständigt, die Umgestaltung des Euro-Korps in eine europäische schnelle Eingreiftruppe fortzusetzen, die den jetzigen Generalstab der KFOR im Kosovo ablösen könnte. Darüber hinaus haben sie die Öffnung des Euro-Korps für Verbindungsoffiziere aus Staaten begrüsst, die, wie das Vereinigte Königreich, bisher noch nicht daran teilnehmen.

Wenn der erwünschte Durchbruch eine Frage der Kapazitäten ist, dann ist er allerdings auch eine Frage der Institutionen. Denn die Union muss erst die Voraussetzungen für die technischen Strukturen schaffen sowie für die notwendigen Organe zur Lageanalyse, zur Entscheidungsfindung und zur Durchführung der auf der Basis der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik gründenden Operationen. In Helsinki hat der Europäische Rat beschlossen, in Brüssel ein politisches Komitee einzurichten, das sich aus Vertretern der ständigen Mitgliedstaaten zusammensetzt und mit der tagtäglichen Lageanalyse betraut ist. Dieses Komitee kann auf den Sachverstand eines militärischen Komitees zurückgreifen, dem wiederum ein militärischer Generalstab zur Seite steht. Es wird dabei unerlässlich sein, dass die drei ständigen Einrichtungen enge und vertrauensvolle Beziehungen zur NATO herstellen.

Denn wir müssen in diesem Zusammenhang die derzeit in europäischen Sicherheits- und Verteidigungsfragen befindenden Institutionen verstärken. Die NATO bildet die Grundlage unserer kollektiven Verteidigung und wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle für das Krisenmanagement spielen. Dadurch, dass wir Europa mit eigenen Militärkapazitäten versehen, verstärken wir nicht allein seine Interventionsfähigkeit, sondern konsolidieren darüber hinaus auch die Atlantische Allianz. Gegenstand der europäischen Verteidigungspolitik, die sich heute herauszubilden versucht, muss es sein, die NATO zu ergänzen, nicht aber sie zu ersetzen. Es ist wichtig, dass unsere Verbündeten und im besonderen die Amerikaner diesbezüglich keinerlei Zweifel hegen und wissen, dass unsere Absichten in nichts anderem bestehen und das Resultat unseres Handelns in nichts anderem bestehen wird.

Darüber hinaus ist von Bedeutung, dass unsere europäischen Verbündeten, die nicht Mitglied der Union sind, an der Bildung dieses Armeekorps teilnehmen können und dass sie an der unionsinternen Ausarbeitung eines Grundsatzprogramms, das dessen Einsatz bestimmt, und auch an den Entscheidungsprozessen für einen solchen Einsatz beteiligt werden.

Eine Sache ist es, ehrgeizige Ziele zu formulieren, doch müssen, um diese nicht aus dem Auge zu verlieren, die Fortschritte, die erzielt worden sind, einer Bewertung unterzogen werden. Diesbezüglich spricht sich das Vereinigte Königreich für die Einführung eines multilateralen Kontrollmechanismus aus, der vor dem Hintergrund der gesteckten Ziele eine regelmässige Einschätzung der erzielten Fortschritte sowohl in kollektiver als auch in nationaler Hinsicht ermöglichen würde. Für eine schnelle Entwicklung dieses kollektiven Verteidigungsinstruments sind grosse Anstrengungen Voraussetzung. Es wird von dem Beitrag jedes einzelnen abhängen. Wir können uns auf die vorhandenen Planungsorgane stützen, inklusive auf die der NATO, weil das Bündnis sich in Washington dazu bereit erklärt hat, diese Europa anzunähern.

Seit Saint-Malo haben wir eine beachtliche Wegstrecke zurückgelegt, doch ist der verbleibende Weg noch weit. In der Zwischenzeit müssen wir einen Mechanismus begründen, der sich - im Einvernehmen mit WEU und NATO - als funktionstüchtig erweist. Wir müssen darauf achten, dass jeder Mitgliedstaat seinen Beitrag dazu leistet und uns das Ende der französischen Unionspräsidentschaft im Dezember 2000 als Richtmarke setzen. Ein anspruchsvolles Programm. Es werden uns noch schwierige Entscheidungen und harte Verhandlungen bevorstehen. Vor allem wird es darauf ankommen, dass alle Mitgliedstaaten die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen und damit ihren Willen unter Beweis stellen, die angestrebte europäische Verteidigungspolitik inhaltlich zu konkretisieren.

Es handelt sich dabei nicht allein um ein Ziel, das für uns erreichbar ist, sondern auch um eine Notwendigkeit, wenn die Europäische Union weltweit ihren Einfluss geltend machen und mit den Vereinigten Staaten gleichberechtigt zusammen arbeiten will.

Eigene Übersetzung des Forum



© Alle Rechte vorbehalten.