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• Eine europäische Sicherheitsarchitektur
an der Schwelle des 21. Jahrhunderts
"Sicherheit im 21. Jahrhundert ist das, was wir daraus machen. Wir haben die Mittel und das Instrumentarium, um die Dinge in die richtige Richtung zu lenken. Ausmass und Vielfalt dieser Herausforderungen können nur innerhalb eines breiten Sicherheitskonzepts sinnvoll angegangen werden, eines Konzepts, das nicht nur militärisch angelegt ist, sondern auch politische, wirtschaftliche und soziale Aspekte mit einschliesst. Nur ein solcher umfassenderer Ansatz gibt uns die Möglichkeit, über das Kurieren an den Symptomen hinauszugelangen." Javier Solana unterbreitet uns in einem Artikel aus den letzten Tagen seiner Amtszeit als NATO-Generalsekretär eine Zukunftsvision der verschiedenen Herausforderungen, denen wir uns zu stellen haben, wollen wir die europäische Sicherheit gewährleisten.© 2000
Javier SOLANA - Ehemaliger NATO-Generalsekretär (Dez. 1995 -
Okt. 1999)


Generalsekretär des Rates der EU - Hoher Vertreter für die GASP (seit dem 18. Okt. 1999) Generalsekretär der WEU (seit dem 25. Nov. 1999)

Der Eintritt in ein neues Jahrhundert - mehr noch, in ein neues Jahrtausend - hat hohen symbolischen Wert. Einige verbinden diesen Augenblick mit grossen Erwartungen, andere wiederum mit Skepsis. Vor genau hundert Jahren, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, herrschte unter der Mehrzahl der Europäer die Hoffnung, dass das neue Jahrhundert Frieden und Wohlstand von bisher ungekannten Ausmassen bringen würde. Leider erwies sich ihr Optimismus als trügerisch.

Aber Geschichte wiederholt sich nicht. Sicherheit im 21. Jahrhundert ist das, was wir daraus machen. Sicherheit kann gestaltet werden - wir sind nicht dazu verurteilt, Opfer von Geschehnissen zu werden, die sich unserer Kontrolle entziehen. Wir haben vielmehr die Mittel und das Instrumentarium, um die Dinge in die richtige Richtung zu lenken.

An Herausforderungen wird es im 21. Jahrhundert nicht fehlen. Globalisierung, um nur ein Beispiel zu nennen, bringt unseren Gesellschaften mehr Kreativität und Wohlstand, macht sie jedoch auch verwundbarer. Die rasche Verbreitung von Technologien und Information ermöglicht völlig neue Produktionsweisen, birgt jedoch auch die Gefahr, dass mehr Staaten Massenvernichtungswaffen entwickeln. Wie sich im Kosovo eindrucksvoll zeigte, stellen uns regionale Konflikte vor die dramatische Wahl zwischen Indifferenz und Engagement und damit vor zwei gleichermassen kostspielige Alternativen. Wirtschaftlicher Abschwung, Umweltkatastrophen oder Regionalkonflikte können dazu beitragen, dass Migration zu einer völlig neuen Herausforderung wird.

Ausmass und Vielfalt dieser Herausforderungen können nur innerhalb eines breiten Sicherheitskonzepts sinnvoll angegangen werden, eines Konzepts, das nicht nur militärisch angelegt ist, sondern auch politische, wirtschaftliche und soziale Aspekte mit einschliesst. Nur ein solcher umfassenderer Ansatz gibt uns die Möglichkeit, über das Kurieren an den Symptomen hinauszugelangen.

Menschlichkeit und Menschenrechte müssen im Mittelpunkt dieses umfassenderen Ansatzes stehen. Eine Sicherheitspolitik, die nicht an den Bedürfnissen des Menschen und an Menschlichkeit ausgerichtet ist, geht am Ziel vorbei. Tatsächlich wird die Mehrzahl heutiger Konflikte zwischen und in Staaten ausgetragen, die die grundlegenden Bedürfnisse des Menschen missachten. Dies gilt auch für die Krise im Kosovo. Sicherheit im 21. Jahrhundert muss zunächst und vor allem menschliche Sicherheit sein.

Die Umsetzung eines solchen umfassenden Sicherheitsansatzes erfordert das Mitwirken aller grossen Institutionen. Denn nur im globalen Rahmen, innerhalb einer Sicherheitsarchitektur also, können wir den neuen Herausforderungen rechtzeitig begegnen oder, besser noch, sie bereits im Keim ersticken.

Die Schlüsselelemente einer solchen Architektur sind bereits vorhanden: Europäische Union, NATO, OSZE und Vereinte Nationen. Jede einzelne dieser Institutionen ist mit einem spezifischen Sicherheitskonzept verbunden. Gemeinsam könnten sie eine neue Qualität von Sicherheit im 21. Jahrhundert schaffen.

Der europäische Integrationsprozess, der in der Europäischen Union seinen Ausdruck findet, ist das wohl anspruchsvollste Element dieser Architektur. Er muss ausgeweitet und auch vertieft werden. Seine Ausweitung bedeutet, die einzigartigen Errungenschaften politischer und wirtschaftlicher Integration auf andere Staaten auszudehnen, denen es an wirtschaftlicher Dynamik und europäischer Identität fehlt. Mit seiner Vertiefung wird sichergestellt, dass Europa der Globalisierung als wirtschaftlicher Herausforderung begegnen kann. Die EU hat durch die Schaffung der Europäischen Währungsunion bereits gezeigt, dass sie entschlossen ist, dieser Herausforderung zu begegnen. Der nächste Schritt wäre eine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik, damit Europa die Rolle spielen kann, die seiner wirtschaftlichen Stärke entspricht.

Die NATO, Ausdruck transatlantischer Partnerschaft, will auch das strategische Umfeld im Sinne eines umfassenderen Sicherheitsansatzes gestalten. Durch die Erweiterung des Bündnisses werden alte Trennlinien aufgehoben, wird Vertrauen in die neuen Demokratien im Osten projiziert. Die Bereitschaft der NATO, ihre Türen zu öffnen - und geöffnet zu halten - bedeutet für die Staaten mit denselben Zielsetzungen und Werten einen starken Ansporn, ihren Reformkurs fortzusetzen. Durch die stete Vertiefung der Beziehungen zu Nicht-Mitgliedsstaaten, einschliesslich eines stabilen Verhältnisses zu Russland, kann die NATO darüber hinaus die Voraussetzungen für eine neue Sicherheitskultur schaffen, die sich auf den gesamten euro-atlantischen Raum erstreckt. Die NATO will den "harten" Sicherheitsproblemen der Zukunft in der Form nuklearer Weiterverbreitung und Regionalkonflikten mit einer neuen Politik entgegentreten. Und schliesslich muss das Bündnis eine reifere transatlantische Beziehung entwickeln, in der Rollen und Aufgaben zwischen Europa und Nordamerika gerechter verteilt sind.

Besonders wichtig ist jedoch die Tatsache, dass die NATO sich als eine Gemeinschaft gezeigt hat, die nicht nur gleiche Sicherheitsinteressen, sondern auch gleiche Werte verbindet. Im Kosovo, wo diese Werte besonders bedroht waren, hat das Bündnis gehandelt. Damit wurde der ethnischen Säuberung ein Ende gesetzt, mehr als eine Million Flüchtlinge konnten nach Hause zurückkehren. Heute tragen die NATO und die EU gemeinsam dazu bei, eine bessere Zukunft für ganz Südosteuropa zu schaffen.

Die erfolgreiche Umgestaltung von EU und NATO zeigt, dass die euroatlantische Partnerschaft tragende Kraft einer neuen Sicherheitsarchitektur bleibt. Die Vereinten Nati starke EU verlassen, wenn es um Krisenmanagement auf dem alten Kontinent geht. Und monen können sich weiterhin auf die Unterstützung durch eine starke NATO und eineit ihrem Beitrag zur festen Verankerung demokratischer Werte auf diesem Kontinent werden NATO und EU die OSZE in ihrer eigentlichen Funktion als moralische Autorität und normengebende Institution unterstützen.

Ich komme also zu dem klaren Schluss: ein umfassendes Sicherheitskonzept, das im Rahmen einer kooperativen Sicherheitsarchitektur verwirklicht wird, ist die beste Voraussetzung für die Schaffung von Sicherheit im 21. Jahrhundert. Schlüsselelemente dieser Architektur sind ein integriertes Europa und ein der Aussenwelt geöffnetes Nordamerika. Gemeinsam bilden sie eine der stärksten Verbindungen gleichgesonnener Demokratien. Gemeinsam können sie der Herausforderung des Wandels begegnen.

Brüssel, den 1. Oktober 1999



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