Der Fall der
Berliner Mauer am Abend des 9. November 1989 überraschte Deutschland
und die ganze Welt. Dieser Abend sollte die Welt verändern.
Am darauffolgenden Tag hat Willy Brandt hierfür in seiner Berliner
Erklärung die richtigen Worte gefunden: "Nichts wird mehr so sein
wie früher... Es liegt nun an uns, vor dem Hintergrund sowohl unserer
deutschen Interessen als auch unserer Verplichtungen gegenüber Europa
unser Bestmögliches zu tun."
Am 3. Oktober 1990 kam es dann zur deutschen Wiedervereinigung.
Damit wurde die Schwelle zu einer neuen Ära überschritten, ganz
so wie es George Bush, der in den Jahren 1989 und 1990 ohne Zweifel
zu den entschiedensten Befürwortern der deutschen Wiedervereinigung
im Ausland gehörte, am 31. Mai 1989 in Mainz in seiner berühmten
Rede vorausgesehen hatte: "Die Welt hat lange genug gewartet. Die
Zeit ist reif. Lasst Europa eins werden und frei sein."
In den 90er Jahren hat sich das vereinigte Deutschland als treibende
Kraft in dem schon 50 Jahre währenden Bemühen um die europäische
Einigung erwiesen. Nach Erlangung der Souveränität und seiner Wiedervereinigung
hat Deutschland seine internationale Integration eher aktiv beschleunigt
als verlangsamt. Dieser grundlegende Zusammenhang zwischen der deutschen
und der europäischen Einigung spiegelte sich auch in den Verträgen
von Maastricht und Amsterdam wider.
Die jahrzehntelange, unermüdliche Unterstützung für die deutsche
und europäische Sicherheit durch die Vereinigten Staaten war für
die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas ausschlaggebend.
Nun ist es für die europäischen Verbündeten an der Zeit, den Vereinigten
Staaten einen Teil der Last abzunehmen und sich für eine gleichberechtigte
Partnerschaft einzusetzen, um so ein neues Gleichgewicht in der
Verteilung von Verpflichtungen und Verantwortungen für unsere gemeinsame
Sicherheit zu erreichen.
Wie Bill Clinton schon am 13. Mai 1998 in Berlin sagte: "Einheit
muss nun unsere Mission sein für Europa als Ganzes und für eine
neue transatlantische Gemeinschaft."
Trotz der bemerkenswerten politischen und militärischen Rolle, die
Europa während des Kosovokonfliktes spielte, ist es noch längst
nicht der strategische Partner, der es sein möchte und nach dem
die Vereinigten Staaten suchen. Wann immer europäische Sicherheitsinteressen
berührt werden und Krisen entstehen, sei es in Europa oder an Europas
Grenzen, sollten die europäischen Verbündeten zu handeln gewillt
und fähig sein, wenn die Allianz als Ganzes nicht betroffen ist.
Dies verlangt eine enge Zusammenarbeit zwischen den europäischen
Partnern und macht es gleichfalls erforderlich, dass Europa bei
gemeinsamen aussen- und sicherheitspolitischen Belangen mit einer
Stimme spricht. Darüber hinaus muss Europa entschlossen den Ausbau
der notwendigen politischen und militärischen Kapazitäten vorantreiben.
Die Europäische Union muss die erforderlichen Schritte einleiten,
um sicherzustellen, dass sie zur Vorbereitung und Durchführung von
Massnahmen imstande ist, die die gesamte Bandbreite von Konfliktprävention
und Krisenmanagement umfassen, wie sie als sogenannte Petersberger
Missionen in dem Vertrag über die Europäische Union festgeschrieben
sind. Die praktischen Voraussetzungen dafür wurden mit den Entscheidungen
geschaffen, die auf dem NATO-Gipfel in Washington im vergangenen
April und auf dem EU-Gipfel in Köln im Juni getroffen worden sind.
Unter dem Dach der EU wird Europa im Bereich der Krisenprävention
und des Konfliktmanagements in Zukunft politisch und militärisch
geeint handeln.
Die Mitgliedstaaten haben sich zur Erweiterung von spezifischen
Militärkapazitäten verpflichtet, insbesondere von strategischen
Luftaufklärungskapazitäten, die sowohl für EU- als auch für NATO-Zwecke
zur Verfügung stehen sollen.
Die Weiterentwicklung der europäischen Sicherheits- und Aussenpolitik
bedeutet allerdings keine Verdoppelung der alliierten Kommandostrukturen,
Mittel und Kapazitäten, sondern die Befähigung Europas, die operationellen
Mindestanforderungen zur Durchführung von UN-Einsätzen zu erfüllen,
unabhängig davon, ob dabei auf Strukturen und Kapazitäten der NATO
zurückgegriffen wird. Die Versäumnisse Europas auf diesem Gebiet
anzusprechen, bedeutet in keiner Weise eine Schwächung der zentralen
Rolle der Allianz in Verteidigungsfragen noch der europäischen Unterstützung
der Ziele, die in der NATO-Defense-Capabilities Initiative bestimmt
wurden.
Die Umsetzung der auf den Gipfeln in Washington und Köln getroffenen
Entscheidungen bedeutet keine Diskriminierung von Nicht-Mitgliedstaaten.
Es müssen Strukturen geschaffen werden, die die volle Teilnahme
aller EU-Staaten an europäisch geführten Operationen ermöglichen
- einschliesslich der Nicht-NATO-Staaten - und auch die Teilnahme
derjenigen NATO-Staaten ermöglichen, die nicht Mitglied der EU sind.
Die Entwicklung einer Europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik
bedeutet keine Abkopplung europäischer Entscheidungsprozesse von
der NATO und den Vereinigten Staaten. Die NATO wird ihren Mitgliedstaaten
auch in Zukunft als wichtigstes Forum zur Beratung über Sicherheitsfragen
transatlantischen Interesses dienen, und auch als Gremium für Vereinbarungen
bezüglich der sicherheitspolitischen Verpflichtungen aller Verbündeten.
So müssen und werden die NATO und alle NATO-Verbündeten weiterhin
involviert bleiben, wenn die Europäische Union Probleme aufgreift,
die ihre Sicherheitsinteressen berühren. Das gilt auch für den Prozess
hin zu europäisch geführten Operationen. Die künftige sicherheitspolitische
Partnerschaft zwischen der NATO und der EU wird unter dem Zeichen
voller Transparenz und Koordination stehen.
Das Problem besteht nicht in einem "zuviel Amerika" in der NATO,
sondern in einem "zuwenig Europa". Die Erweiterung der Handlungsfähigkeit
Europas und ihrer Befähigung, Verantwortung zu übernehmen, bedeutet
eine Stärkung der NATO als Ganzes und eine Neuorientierung der transatlantischen
Zusammenarbeit im Hinblick auf die Herausforderungen der Zukunft.
Europa geht seiner Einigung entgegen und tritt aus dem unheilvollen
Kreis von Misstrauen und Rivalitäten, der es über Jahrhunderte hinweg
umschlossen hielt. Bei diesem historischen Bemühen braucht Europa
ein nach aussen gerichtetes und engagiertes Nordamerika genauso
wie eine zentrale, auf gemeinsamen Werten und Interessen beruhende
transatlantische Partnerschaft.
Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer hat sich eines nicht geändert:
Nur gemeinsam können Europa und Amerika die Herausforderungen meistern,
die uns bevorstehen.
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